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203 | www.limina-graz.eu 2. Daten, ganz grundsätzlich
Ein Datum ist zunächst ein alphanumerischer Wert. Er gewinnt seine Va-
lenz dadurch, dass er sich auf etwas bezieht; ohne diese Bezugsgröße ist das
Datum in sich bedeutungs- und damit wertlos. Die Zeichenkette „2.7.2018“
hat eine Bedeutung durch den bereits bekannten Bezug auf unsere übli-
chen Zeitangaben; sie bezeichnet den zweiten Tag im siebenten Monat des
Jahres 2018 unserer Zeitrechnung (und damit so etwa 2024 nach Christi
Geburt, wenn man den Rechenfehler des Dionysius Exiguus einbezieht).
Lesbar wird das Datum durch die allgemein bekannte Konvention der Da-
tumsfolge TT.MM.JJJJ, die lokaler Natur ist.
Daten sind keineswegs neuzeitliche Erfindungen. Schon die kulturellen
Relikte ältester Zivilisationen weisen auf nachhaltige Datensammlungen
und -analysen zurück; zunächst in den Kalendersystemen, in denen sich
langjährige Aufzeichnungen niederschlugen. Die aus ihnen ableitbaren
Regelmäßigkeiten bedingten das Überleben der Gesellschaften, denn die
Erfolge von Aussaat und Ernte waren von einer kalendarischen Einteilung
des Jahres massiv abhängig. Das potenzierte sich mit der sozialen Organi-
sation von Gesellschaften. Die organisatorische Führung großer Gemein-
schaften erforderte kalkulatorische Leistungen, die ohne Datenmaterial
nicht möglich waren. Wie konnten frühe Ackerbaukulturen entscheiden, ob
die eingebrachten Vorräte für das Überleben des Winters schon ausreich-
ten? Wie konnten die Ägypter die Felder nach der Nilflut neu vermessen?
Wie konnten die Babylonier die Steuern festsetzen? Wie die Römer ihre Le-
gionen verpflegen? All das war ohne Daten undenkbar; gewonnen wurden
diese zum Teil durch Erfahrung und Aufzeichnung bzw. Memorieren, zum
Teil aber durch Kalkulation und Prozessformalisierung. Damit möchte ich
darauf hinweisen, dass Daten an sich überlebenswichtig sind; allerdings
nicht die numerischen Werte an sich und isoliert, sondern jeweils in ihrer
Kombination mit den entsprechenden Bezugsgrößen und der Art ihrer Ver-
arbeitung.
3. „Big Data“
Bereits Aristoteles hat festgehalten, dass ein einzelnes Datum wertlos ist.
Um zu neuen Aussagen zu kommen, muss es mindestens zwei Daten ge-
ben, die miteinander verknüpft werden können (Analytica Priora I,3–5).
Er etablierte das, was man als Grundlage der Empirie bezeichnen könnte:
Christian Wessely | Die Macht der Daten
normative Grundlage einer Interak-
tion ausschließlich eine sprachliche
sein kann. Das wiederum ist für die
Informatisierung wesentlich: Die
Kommunikationsvorgänge im Da-
tenaustausch sind hoch formalisiert
und strikten Normen unterworfen.
Einschränkend gilt jedoch hier wie
dort, dass das Normative nur einen
kleinen, wenn auch hoch relevanten,
Teil des menschlichen Agierens ab-
bilden kann. Insofern ist der größere
und wesentlichere Teil, und zwar
auch und gerade jener, der sich ganz
allgemein mit einer „Sinnbestim-
mung“ im weiteren Sinne befasst,
aufgrund seiner Subjektivität nicht
ausregulierbar. Dies wurde bereits
von Lamb (1989) aufgenommen, der
zunächst fragt, ob nicht die Moderne
die besten Kommunikationssysteme
der Weltgeschichte bereitstellt, aber
nichts, worüber sich zu kommuni-
zieren lohnt (241), um dann mit dem
Hinweis „Geschichte ist menschlich,
nicht automatisch“ (250) den Finger
auf einen Punkt zu legen, von dem
er damals noch nicht wissen konnte,
wie wund er wirklich ist.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven