Page - 207 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
Image of the Page - 207 -
Text of the Page - 207 -
207 | www.limina-graz.eu gisch problematisch ist,10 dann ist das Ergebnis relativ klar: Komplexe Pro-
zesse der menschlichen Wirklichkeit werden abstrahiert, vereinfacht und
in Strukturen gegossen, die maschinelle Auswertung, Entschei
dung und
Archivierung möglich machen. Diese Strukturen können aber unmöglich
mit wirtschaftlichen Mitteln in Hardware abgebildet werden; sie werden
softwaremäßig realisiert. KI ist somit letztlich eine strukturier
te Anord-
nung von Daten mit operativem Wirkungspotential. „Maschinelles Se hen“,
„maschinelles Lernen“ oder „intelligente Steuerungen“ sind letztlich Eu-
phemismen, die eher Verständnisproblemen entgegenwirken und wohl
auch Berührungsängste abbauen sollen. Die gute Nachricht ist: Dadurch ist
die teils ersehnte, teils befĂĽrchtete Entwicklung eines Selbstbewusstseins
von KI bis auf weiteres nicht zu erwarten. Die schlechte ist: Wir verabschie-
den uns tatsächlich von einem Gutteil unserer menschlichen Handlungs-
autonomie zugunsten eines schlechter funktionierenden und fremddeter-
minierenden Systems.
5. Moment mal … schlechter?
Warum schlechter funktionierend? Im Alltag sehen wir doch schon, dass
KI hervorragend funktioniert. Die Wettervorhersagen werden genauer, die
Supermarktlager sind pünktlich gefüllt; Online-Versandhäuser schlagen
uns Artikel vor, die uns tatsächlich interessieren, und der Internet-Musik-
dienst spielt Musik, die uns wirklich gefällt. Nicht zu vergessen die Sozialen
Medien, die uns mit den Informationen versorgen, die uns zeigen, dass wir
keineswegs allein sind mit unserer Meinung, ja, dass es sogar viele Men-
schen gibt, die ähnlich denken wie wir.
Aber genau darin liegt das Problem. Aus allen verfĂĽgbaren Optionen, die
der KI vorliegen, wählt sie jene, von denen ihre Algorithmen einen best fit
fĂĽr unsere Konsumgewohnheiten (seien es mediale, seien es KonsumgĂĽ-
ter) vorhersagen. Diese Vorhersage reduziert nicht das Gesamtangebot,
sondern sie filtert es eingedenk der Tatsache, dass meine menschlichen
Wahrnehmungsmöglichkeiten pro Zeiteinheit beschränkt sind.11 Aufgabe
dieser Algorithmen ist nun aber die Optimierung des Konsums – für Anbie-
ter kommerzieller GĂĽter oder Dienstleistungen deren Kauf oder Buchung;
fĂĽr Anbieter von Weltinterpretationen deren Ăśbernahme und Integration
ins Weltbild der Konsumentinnen und Konsumenten. Insofern bestim-
men tatsächlich Daten, was wir mit hoher Wahrscheinlichkeit konsumie-
ren und was nicht, und an welchen Wertvorstellungen wir uns mit hoher
Christian Wessely | Die Macht der Daten
10 Lernprozesse laufen beim Men-
schen hoch selektiv ab. Bereits seit
Kant ist es klar, dass wir wesentlich
weniger wahrnehmen, als uns
durch unsere sensorischen Organe
zur VerfĂĽgung gestellt wird (ders.
2009 [1787], Abschnitt Trans-
zendentale Ästhetik), und dass der
Integrations prozess in das Be-
wusstsein je nach betroffenem Teil
des Gedächtnisses unterschiedlich
abläuft. Denn der Lernprozess selbst
ist in seinem Erfolg vom subjektiven
Erleben des Lernenden abhängig
(Ist der Prozess selbst angenehm?
Handelt es sich um Informationen/
Prozesse, die ĂĽberlebenswichtig
sind? Sind sie unterhaltsam? FĂĽh-
ren sie zu angenehmen weiteren
Entwicklungen, etc.). Algorithmen
arbeiten nach Vorgaben, die die pro-
grammierende Instanz – Mensch
oder selbst Software – setzt. Wer
programmiert die Algorithmen,
durch die selbstlernende Systeme zu
lernen beginnen, und wie läuft deren
Selbstkontrolle (im Sinne von Veri-
fikationsmechanismen) ab? Weiters:
Ein wesentlicher Teil des menschli-
chen Lernens hängt auch mit der
Fähigkeit des Vergessens und dem
Bewusstsein zusammen, etwas ver-
gessen zu haben. Digitales Vergessen
ist hingegen nur theoretisch leicht
zu erreichen.
11 Indirekt ergibt sich dadurch
natĂĽrlich sehr wohl eine Reduktion
des Angebotes, weil – auch medial!
– natürlich bevorzugt hergestellt
wird, was nachgefragt wird. Durch
das verzögerte Feedback im Kon-
sumprozess ist das natĂĽrlich eine
langsame Entwicklung, doch sie ist
letztlich nur folgerichtig.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven