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208 | www.limina-graz.eu Wahrscheinlichkeit orientieren und an welchen nicht. Die KI gibt uns, was
wir gerne sehen/hören/haben wollen – und hält uns auf weite Strecken von
unbequemen und aufwändigen, ja schmerzhaften Reflexionsprozessen ab.
Dissidente Meinungsbildung bzw. Kaufentscheidung ist mit höherem Auf-
wand und in Einzelfällen durchsetzbar, aber statistisch nicht signifikant.
Die Korrelation ist also keineswegs eine der Daten mit den benutzenden
Menschen, sondern eine der Menschen mit den ihnen angebotenen Daten.
Wir sind – ganz pragmatisch – abwärtskompatibel.12
6. Realistische Möglichkeiten
Man könnte natürlich sagen: Daten haben keine Macht. Macht haben dieje-
nigen entscheidungsfähigen Organe, die Macht über die Daten haben. Nur
sind diese entscheidungsfähigen Organe nicht mehr notwendigerweise
biologischer Natur, sondern technischer, insbesondere in einer Phase der
Entwicklung, in der Systeme nicht nur vom Menschen und durch „eigene
Erfahrung“, sondern auch voneinander lernen können.
Wenn autonome Autos in Zukunft ihre Daten austauschen, passiert genau
das. Wenn Auto #1 „lernt“, dass zu einer bestimmten Zeit an einer be-
stimm ten Stelle Staus wahrscheinlich sind, wird das rückgemeldet und
fließt in die Navigationsdaten ein. Wenn Auto #2 in einen Unfall verwickelt
ist oder auf der Fahrbahn liegende Hindernisse „erkennt“, dann „warnt“
es automatisch Auto #3, das daraufhin eine andere Fahrtroute vorschlägt
oder gleich autonom wählt. Für den- bzw. diejenige/n, die dann auf der
Alternativstrecke von Auto #3 überfahren werden, für den Fahrer bzw. die
Fahrerin von Auto #3 und andere involvierte Personen hat das ganz prag-
matische Folgen.
Noch wesentlich kritischer wird es, wenn man z. B. die Vorgänge in großen
Lagerlogistiksystemen bedenkt.13 Die Einlagerung erfolgt chaotisch und
nicht nach Produktgruppen; die KI der Lagerführung bestimmt, welcher
gerade freie Platz unter Einbeziehung der Bestellhäufigkeit und der Ran-
gierzeit für ein neu einzulagerndes Produkt angemessen ist. Bei Ausfall des
Systems ist das Lager nicht mehr bewirtschaftbar – ohne Zugriff auf die
Datenbanken und die Schnittstellen ist dem Menschen eine Orientierung
Christian Wessely | Die Macht der Daten
12 Dieses Phänomen ist nicht neu,
aber seit der ersten KI-Welle im
Sektor der Computerspiele be-
sonders deutlich geworden, vgl.
Wessely 1999.
13 Mit „groß“ ist dabei an Dimen-
sionen von Amazon zu denken, des-
sen Sortiment im Januar 2017 über
220 Millionen Produkte umfasst hat,
vgl. https://sellics.com/de/blog-
amazon-verdoppelt-sortiment-
seit-2014-auf-229-mio-produkte.
Freilich sind dabei auch die von
Dritten angebotenen Teile erfasst,
die nicht von Amazon selbst gelagert
und versandt werden; aber auch
diese umfassen immerhin noch ca.
130 Millionen. Lagerhaltung ohne
KI ist damit undenkbar, weil die
schnelle Lieferung einen der we-
sentlichsten Wettbewerbsvorteile
darstellt. Die entscheidungsfähigen Organe sind nicht mehr
notwendigerweise biologischer Natur.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven