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209 | www.limina-graz.eu in diesen Lagern nicht mehr möglich, ohne dass er selbständig das „Sys-
tem“ erlernt, nach dem die Waren abgelegt wurden. Nachdem diese Ablage
aber chaotisch erfolgt, gibt es keine Redundanzen in der Abbildung (Zurek
1989), sondern die Abbildung muss prinzipbedingt exakt gleich dimen-
sioniert sein wie das Lager selbst.14
Nimmt man die einwandfreie Funktion des Lagers an, bleiben noch im-
mer wesentliche Entscheidungen zu treffen, die besonders relevant sind,
wenn GĂĽter knapp werden. Im Fall eines normalen Konsumgutes ist das
schlimmstenfalls ärgerlich. Wenn ein bestimmtes neues Gadget nicht mehr
in der Zahl lieferbar ist, in der es bestellt wurde, hat das wenig allgemeine
Relevanz. Was aber, wenn diese GĂĽter z. B. Medikamente sind? Wie ent-
scheidet die lagerführende KI, welche Personengruppe – Systemerhalter?
Aktieninhaber der Firma? Angestellte? First come, first serve? Höchst-
bietende? – das knappe Medikament als Erste bekommen? Welcher Pro-
duktionsbetrieb bekommt vom Lieferanten wann den benötigten Roh-
stoff?16 Wer sind die handelnden Vertragspartner?15 Das sind im Moment
noch kei ne akuten Fragen, auch wegen des gottlob noch nicht vorhandenen
Anlassfalles. Aber sie können jederzeit akut werden.
Es ist also deutlich sichtbar: Der Mensch ist von Daten und den autonomen
datenverarbeitenden Systemen weitestgehend abhängig. Diese Abhängig-
keit entzieht sich der Kontrolle durch Konsumentinnen und Konsumenten
bzw. deren politische Organe. Sogar die CEOs großer IT-Firmen können
nicht mehr jeden Aspekt ihrer Unternehmen kontrollieren, sondern geben
strategische Richtungen vor, ohne in Detailprozesse eingreifen zu können
– und diese Detailprozesse entwickeln sich teilweise bereits selbst weiter.17
Wenn also – konsequent gedacht – Daten und Datenkonstrukte tatsächlich
Entscheidungspotentiale haben und diese auch umsetzen können, und
wenn sich dabei zugleich die „starke“ KI weiter entwickelt, stehen wir
tatsächlich langfristig vor einer Situation, die den Daten Gestaltungsmacht
verleiht. Und je nachdem, welche Ziele, Prioritäten und Strategien diesen
Konglomeraten dann plausibel erscheinen, wird die weitere Entwicklung
der Menschheit verlaufen. Schon jetzt sind wir zu einem erheblichen Teil
und dann sind wir es vollständig: abhängig von einer Realität, die sich dem
menschlichen Verstand (im Kantʼschen Sinne) völlig entzieht.18
Christian Wessely | Die Macht der Daten
14 Ein vereinfachtes Beispiel: In
einem Lager mit 100 Lagerzellen
lagern 25 verschiedene Produkte. Die
Lagerzellen sind mit x,y-Koordi-
naten versehen. Ein lineares System
könnte nun redundant abgebildet
werden: „Produkt 1 liegt in 1,1-4,
Produkt 2 liegt in 1,5-8“ usw. Ein
chaotisches System muss fĂĽr jedes
Produkt den Standort definieren:
„Produkt 1 liegt in 1,1; in 3,9; in 4,3;
in 8,10“). Der Vorteil des chaoti-
schen Systems ist, dass es automa-
tisiert wesentlich effizienter be-
trieben werden kann als das lineare.
Der Vorteil des linearen Systems ist,
dass es auch ohne Automatisierung
betrieben werden kann.
15 Vgl. das SEMPRE-Projekt des
Fraunhofer-Institutes, https://
www.fraunhofer.at/de/forschung/
forschungsfelder/sempre.html
[10.7.2018].
16 Vgl. https://www.noerr.com/de/
newsroom/News/kuenstliche-in-
telligenz-wenn-roboter-vertraege-
schliessen.aspx [10.7.2018].
17 Vgl. https://www.swisslog.
com/de-at/logistics-automation/
industry-40/artificial-intelligence-
ai-machine-learning-warehouse
[6.7.2018].
18 Ăśber die potentiellen Folgen
einer solchen Entwicklung gibt es
seit den 1940er-Jahren eine breite
Palette von medialen Spekulationen.
In der Literatur ist Asimovs I, Robot
eines der bekanntesten Beispiele;
Wenn sich die „starke“ KI weiterentwickelt, stehen wir vor einer Situation,
die den Datenkonstrukten Gestaltungsmacht verleiht.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven