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215 | www.limina-graz.eu ern, zu zerschneiden und dann DNA-StĂĽcke herauszuschneiden und/oder
neue TeilstĂĽcke einzufĂĽgen.1 CRISPR/CAS9 wurde deshalb auch als mole-
kulares Skalpell bezeichnet. Entdeckt wurde die Methode von einer Ar-
beits gruppe um Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier an der Uni-
versity of California in Berkeley im Jahr 2012.
Die Anwendungsmöglichkeiten, die sich aus heutiger Sicht für das Ver-
fahren ergeben, betreffen keineswegs nur und in naher Zukunft wohl auch
nicht primär den Menschen. Zunächst ist mit einem breiten Einsatz in der
genetischen Grundlagenforschung und im Bereich der „grünen“ Gentech-
nik zu rechnen, z. B. um Nutzpflanzen herzustellen, die gegen bestimmte
Schädlinge oder gegen die Folgen des Klimawandels (zunehmende Wärme
und Trockenheit) resistent sind.2
Aus verständlichen Gründen löst jedoch der mögliche Einsatz beim Men-
schen die stärksten Phantasien und die heftigsten Kontroversen aus.3 Aber
auch hier muss unterschieden werden, ob nur in das Genom von Körperzel-
len eingegriffen wird (somatische Gentherapie), oder aber in die Keimbahn
des Menschen (Keimbahntherapie bzw. germline genome editing). Bei der
somatischen Gentherapie werden immer nur einige Zellen im Körper eines
Menschen verändert, und die Veränderung wird nicht an die Nachkommen
weitergegeben. Dagegen verändert man bei Keimbahneingriffen – konkret
an Keimzellen oder am frühen Embryo – die genetischen Ausgangsbedin-
gungen eines Organismus, der diese dann auch an alle Nachkommen
weitergibt. Bei der somatischen Gentherapie, wo nur partiell in einen Or-
ganismus eingegriffen wird, stellen sich ethisch keine neuen Herausfor-
derungen im Vergleich zu bisherigen Therapieformen. Es geht um Fragen
von Nutzen und Risiken, von Aufklärung und Zustimmung und einer fairen
Verfügbarkeit der Methode für alle, die sie benötigen.
Keimbahneingriffe beim Menschen sind tatsächlich etwas Neues und
werden zu Recht intensiv diskutiert. Ihr Ziel kann rein therapeutischer Na-
tur sein, z.Â
B. wenn man einen eindeutig lokalisierbaren genetischen Defekt
korrigiert, oder sie haben eine genetische Optimierung im Blick (genetisches
Enhancement), was fĂĽr die ethische Beurteilung einen wesentlichen Unter-
schied macht. Man steht so in der Anwendung von CRISPR/CAS9 beim Men-
schen vor zwei Grenzen, wo geklärt werden muss, ob wir sie überschreiten
dĂĽrfen oder nicht: der Schritt zu gezielten Eingriffen in die menschliche
Keimbahn und der Ăśbergang von therapeutischen zu verbessernden Ein-
Walter Schaupp | Genom-Editierung als SchlĂĽsseltechnik der Zukunft
Das molekulare Skalpell erlaubt punktgenaue DNA-Veränderung.
1 CRISPR steht fĂĽr Clustered
Regularly Interspaced Short Palin-
dromic Repeats, bei CAS9 (= CRISPR-
associated) handelt es sich um eine
bestimmte Endonuklease, also um
ein Enzym, das DNA-aktiv ist. DNA
steht für Desoxyribonukleinsäure. In
einer Kette solcher MolekĂĽle ist die
genetische Information bei allen
Lebewesen gespeichert.
2 Näheres zu den Anwendungs-
möglichkeiten: vgl. Baltimore et al.
2015; Vogel 2016; Nuffield Council
on Bioethics 2016; Parrington 2016.
3 Repräsentativ dafür sind die
Beiträge auf dem Studientag des
Deutschen Ethikrats am 22.6.2016
(Deutscher Ethikrat 2016; Burmeis-
ter/Ranisch 2017).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven