Page - 226 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
Image of the Page - 226 -
Text of the Page - 226 -
226 | www.limina-graz.eu entschwindet, in dem sie näher zu rücken scheint, sodass der Prozess einer
Verbesserung der genetischen Ausstattung des Menschen sich insgesamt,
wenn überhaupt, äußerst langsam ereignen wird.
In der Auseinandersetzung mit dem FoucaultĘĽschen Theorem der Biomacht
hat sich gezeigt, dass weder die omnipräsenten, oft manipulativen Einflüsse
unterschätzt werden dürfen, denen das Individuum ausgesetzt ist, noch
aber die real verfügbaren Möglichkeiten von Selbstaufklärung und ver-
nunftgeleiteter Selbststeuerung, über die es verfügt. Diese müssen gestärkt
werden. FĂĽr die ethische Auseinandersetzung ergibt sich hier allerdings die
Aufgabe, sich nicht nur auf eine rational-argumentative Ebene zurĂĽck-
zuziehen, sondern auch für die sozialen Kräfte sensibel zu werden, die den
verschiedenen Argumenten zu gesellschaftlicher Durchsetzung verhelfen
und individuelle Entscheidungen beeinflussen. Über diese Kräfte aufzu-
klären bedeutet, an echter Autonomie zu arbeiten.
Auf der anderen Seite gilt, dass die Möglichkeiten einer biopolitischen
Beeinflussung der Individuen im Sinne Foucaults sich immer wieder als
begrenzt erweisen. Zum Beispiel bemĂĽhen sich Transplantationsmedi-
zin und staatliche Gesundheitspolitik in Deutschland seit Jahren um eine
Steigerung der Organspende, ohne dass dies bisher zu einem nachhalti-
gen Erfolg geführt hätte. Ganz im Gegenteil, in dem seit Jahren steigenden
gesellschaftlichen Unbehagen am Hirntodkonzept (Hilpert 2014; Schaupp
2014) stößt man auf eine Entwicklung, die sich zum diesbezüglichen bio-
politischen Anliegen einer Steigerung des Lebens (Gehring 2006, 51–61)
dysfunktional verhält.
Ebenso wenig darf der Effekt eines anhaltenden zivilen Widerstands ge-
gen die Etablierung bestimmter biomedizinischer Verfahren unterschätzt
werden. So konnte der Protest bestimmter gesellschaftlicher Gruppen
gegen die embryonale Stammzellforschung diese zwar nicht verhindern,
sehr wohl aber bewirken, dass verstärkt nach alternativen Wegen der
Stamm zellgewinnung gesucht wurde. Im Hinblick auf die allgegenwär-
tige Manipu lation unseres Konsumverhaltens weisen George A. Akerlof
und Robert J. Shiller auch auf reale Möglichkeiten hin, diese immer wie-
der zu durchbrechen (Akerlof/Shiller 2016, 211–236). Markt- und Gewinn-
orientierung in den Biotechnologien bewirken zwar, dass man auch im
Gesundheitsbereich versucht, das Konsumverhalten entsprechend zu be-
einflussen, gleich zeitig macht dieselbe Orientierung die Unternehmen je-
doch für Konsumverweigerung oder für Kampagnen moralischer Ächtung
ver wundbar.
Walter Schaupp | Genom-Editierung als SchlĂĽsseltechnik der Zukunft
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven