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9 | www.limina-graz.eu weisen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden
und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht das Schwert, Na-
tion gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg.â (Jes 2,2â4
[zitiert nach der âEinheitsĂŒbersetzungâ] // Mi 4,1â3)4
Ist die biblische Prophetie an das âHaus Jakobâ (Jes 2,5) adressiert, gelobt
im UNO-Text das nunmehrige âWirâ, das sich mit den von Gott unterwie-
senen Völkern identifiziert, die Umsetzung des Friedensbildes.
Der in den Schriften Israels in Entsprechung zur monotheistischen Ent-
wicklung reflektierte universale Horizont (zur Sammlung der Völker siehe
z. B. auch Jes 56,6â8 oder Jes 66,18â23) begegnet bei Paulus, der sich in
AnknĂŒpfung an die prophetische Tradition als von Gott berufener âApos-
tel der Völkerâ versteht, als radikal-inklusive Vision gegenĂŒber klassischen
zeitgenössischen IdentitÀts- und Abgrenzungsdiskursen:5
Es gibt nicht Jude, noch Grieche,
es gibt nicht Sklave, noch frei,
es gibt nicht mÀnnlich und weiblich;
denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. (Gal 3,28)
In der Taufformel wird kollektive IdentitÀt jenseits ethnisch-kultureller,
sozio-ökonomischer und geschlechtlicher Kategorien artikuliert. Freilich
wird das Einheit stiftende Moment christuszentriert konzipiert, um die
universale Gotteskindschaft von âAbrahams Nachkommenâ (Gal 3,29) zu
formulieren. Die Situation der nicht an Jesus Glaubenden liegt hier auĂer-
halb des Blickfelds.
Anvisiert ist dabei nicht eine Aufhebung der Unterschiede, sondern der ex-
kludierenden, Hierarchien generierenden Unterscheidung, wenn alle in eine
versöhnte Gemeinschaft des Heils, gegenseitiger Toleranz und des Frie-
dens gerufen sind. In einer nachpaulinischen Fortschreibung der Formel
wird dazu auch auf die Schöpfungstradition und das hier verankerte Mo-
tiv menschlicher Gottesbildlichkeit Bezug genommen, wenn vom âneuen
Menschenâ, erneuert nach dem âBildâ des Schöpfers, als ĂŒbergeordneter
IdentitĂ€tsbestimmung die Rede ist (Kol 3,10â11).6 Leitbild fĂŒr die hetero-
gen zusammengesetzte, multikulturelle ekklesia ist weniger das âVolkâ,
sondern neben Familienmetaphern wird die antike Metaphorik des Kör-
pers verwendet, um eine tragfĂ€hige gemeinsame IdentitĂ€t fĂŒr Menschen
Nicht eine Aufhebung der Unterschiede, sondern der exkludierenden,
Hierarchien generierenden Unterscheidung ist anvisiert.
4 In Joël 4,10 wird die Friedens-
verheiĂung angesichts dissonanter
Wirklichkeitserfahrungen auf sar-
kastische Weise gerade ins Gegenteil
verkehrt.
5 Im Gefolge der âneuen Paulus-
perspektiveâ (Stichwort âPaul the
Jewâ) geht es nicht darum, christ-
lichen Universalismus einem sich
ethnisch definierenden Judentum
gegenĂŒberzustellen.
6 In Kol 3,11 verbindet sich ein noch
stÀrkerer Fokus auf die ethnisch-
kulturelle Differenz mit einer â fĂŒr
die Paulusrezeption wie die christli-
che Entwicklung problematischen â
Ausklammerung des Genderaspekts.
lImIna 2:1 | neue nationalismen und die vision der einen menschheit | editorial
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven