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22 | www.limina-graz.eu d. h. dass die Menschenrechte unteilbar sind. Unteilbar bezieht sich dabei
nicht auf ihre Beschaffenheit und darauf, dass man sie nicht unterteilen
kann, sondern darauf, dass man alle Teile realisieren muss und nicht nur
einen Teil. Daraus folgt, dass immer der optimale Schutz von allen Men-
schenrechten verfolgt werden muss. Diese Unteilbarkeit der Menschen-
rechte lässt sich zum einen mit den Menschenrechten an sich begründen,
denn eine Trägerin bzw. ein Träger von Menschenrechten kann die Men-
schenrechte nicht nur selektiv haben, sondern ist Trägerin bzw. Träger von
allen Menschenrechten. Zum anderen schĂĽtzt jedes spezifische Menschen-
recht ein essentielles Element bzw. einen essentiellen Bereich der mensch-
lichen Existenz, das bzw. der nach menschenrechtlichem Schutz verlangt.
Daraus folgt, dass ein spezifisches Menschenrecht erst dort an seine Gren-
zen stösst, wo es nicht mehr im Einklang mit anderen Menschenrechten
oder mit den Menschenrechten von anderen Menschen steht.
Dieses Prinzip der Unteilbarkeit der Menschenrechte erteilt der Rede von
einem Konflikt zwischen einzelnen Menschenrechten eine Absage und
propagiert ein Verständnis des Nebeneinanders aller Menschenrechte.
Ein Nebeneinander der Menschenrechte meint erstens, dass der Inhalt
der einzelnen spezifischen Menschenrechte durch die Menschenrechte an
sich (z. B. dass allen Menschen dieses spezifische Recht zusteht) und durch
die anderen spezifischen Menschenrechte geprägt wird (z. B. prägen die
Menschenrechte aller Menschen den Inhalt der Bildung, die aufgrund des
Rechts auf Bildung allen Menschen offenstehen muss). Zweitens definieren
jeweils die Menschenrechte an sich und die anderen spezifischen Men-
schenrechte die Grenzen des jeweiligen spezifischen Menschenrechts (z. B.
das Recht auf Nichtdiskriminierung das Recht auf Meinungsfreiheit).
Politische Auseinandersetzungen, die sich um Ungerechtigkeit und Verlet-
zungen von elementaren Aspekten und Bereichen der menschlichen Exis-
tenz drehen, werden meist in der Sprache der Menschenrechte gefĂĽhrt.1
Akteurinnen und Akteure von Reform- und Widerstandsbewegungen in
Diktaturen und absolutistisch regierten Staaten wehren sich unter Bezug-
nahme auf die Menschenrechte und tragen so ihren Einsatz fĂĽr Menschen-
wĂĽrde, mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit voran.
Menschenrechte bilden jedoch nicht „nur“ den Inhalt politischer Kämpfe
fĂĽr MenschenwĂĽrde, mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit. Sie be-
Peter G. Kirchschläger | menschenrechte, demokratie und religionen
1 So standen etwa die Anfänge des
„Arabischen Frühlings“ im Zeichen
der Forderung nach einer Realisie-
rung der Menschenrechte, wie u. a.
Nelly Corbel in ihrem Vortrag am
Workshop „Democracy and partici-
pation in the face of global changes.
The role of citizenship and human
rights education“ des Networking
European Citizenship Education (28.–
30. Juni 2012) in Madrid berichtet.
Das Prinzip der Unteilbarkeit besagt, dass alle Menschenrechte
zu realisieren sind und nicht nur ein Teil.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven