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70 | www.limina-graz.eu Wie fĂŒr alle Tugenden, so lĂ€sst sich auch fĂŒr die Hilfsbereitschaft zeigen,
dass diese nicht fĂŒr sich stehen kann: Hilfsbereitschaft muss von den Mög-
lichkeiten des Helfenden her gedeckt sein, was Ehrlichkeit voraussetzt.
Hilfsbereitschaft gegenĂŒber Notleidenden darf nicht willkĂŒrlich sein, was
Gerechtigkeit voraussetzt. Hilfsbereitschaft darf nicht ausgenutzt wer-
den, was Mut zur Abgrenzung voraussetzt. Die Gesinnungsethik geht am
Einzelnen nie vorbei â ihr Kern ist in der Tat ein ânormativer Individua-
lismusâ (Ott 2016, 31) â, aber sie erschöpft sich nicht in Hilfsbereitschaft.
Es geht bei ihr vielmehr um die Konsistenz und Universalisierbarkeit einer
moralischen Haltung.
Hannah Arendts Verlust von Vertrauen in die Menschenrechte
Hannah Arendt hat nach dem millionenfachen Mord an ihrem eigenen Volk
und anderen Minderheiten das Vertrauen in die Menschenrechte verloren.
Es ist ihr nicht zu verdenken. Ganz offensichtlich konnten die Institutio-
nen, die sich auf die Menschenrechte verpflichtet hatten, all diese Men-
schen nicht schĂŒtzen: Weder die demokratischen Staaten mit ihren von
menschenrechtlichen GrundsÀtzen getragenen Verfassungen noch der
Völkerbund noch andere internationale Organisationen waren stark genug,
die Rechte der Menschen zu garantieren. Dass die Menschenrechte der zu-
nehmenden Aushöhlung des Rechts nichts entgegenzusetzen hatten, ja
dass sie zu einem Sinnbild der Ohnmacht wurden, bringt Arendt in ihrem
Hauptwerk Elemente und UrsprĂŒnge totaler Herrschaft unmissverstĂ€ndlich
zum Ausdruck: Den Nationalsozialisten sei es gelungen,
âpraktisch, am Modell einer unerhörten Not fĂŒr unschuldige Menschen,
darzulegen, daĂ solche Dinge wie unverĂ€uĂerbare Menschenrechte
bloĂes GeschwĂ€tz und daĂ die Proteste der Demokratien nur Heuchelei
seien. Das bloĂe Wort âMenschenrechteâ wurde ĂŒberall und fĂŒr jeder-
mann, in totalitĂ€ren und demokratischen LĂ€ndern, fĂŒr Opfer, Verfolger
und Betrachter gleichermaĂen, zum Inbegriff eines heuchlerischen oder
schwachsinnigen Idealismus.â (Arendt 2005, 564)
Arendt fĂŒhrt die Ohnmacht des Menschenrechtsschutzes, auf den insbe-
sondere die Minderheiten und die Staatenlosen so sehr angewiesen waren,
auf die historisch bedingte Verflechtung von Menschenrechten und natio-
naler SouverĂ€nitĂ€t zurĂŒck: Die Französische Revolution habe die Tradition
des Nationalstaats mit der Gleichsetzung von nationaler SouverÀnitÀt und
margit Wasmaier-sailer | recht tun â recht verlangen
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven