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axel Bernd Kunze | staat â IdentitĂ€t â recht
mogenen Gesellschaft von Gleichgesinnten oder in einer sich dynamisch
entwickelnden Umgebung, die kulturell offen istâ (Lesch 2016, 137â
138).
Zivilgesellschaftliches Engagement ersetzt Politik und Verwaltung, die
zunehmend an ihre Grenzen stoĂen. Der Nationalstaat ist fĂŒr Lesch nur
noch als Funktion einer Weltinnenpolitik zu denken, die sich durch wei-
che Steuerungsinstrumente transnationaler Strukturen realisiert. Am Ende
stehen die Bilder einer âWeltrepublikâ, welche das vorhandene Völkerrecht
fortfĂŒhrt, und einer demokratischen Weltgesellschaft, in der sich die BĂŒr-
ger âals Freie und Gleiche begegnen könnenâ. Zu den Regeln der skizzier-
ten Weltinnenpolitik gehört, dass das âan nationale Herkunft gebundene
StaatsbĂŒrgerrecht weltbĂŒrgerlich transformiert wirdâ und der Einzelne
nicht mehr âGefangener eines Territoriums, eines Staates, einer Ethnie
oder einer Religionâ sein soll (Lesch 2016, 160â161). Etwas prosaischer
hat die deutsche Bundeskanzlerin diesen Gedanken am 25. Februar 2017 in
einer Rede in Stralsund auf folgende Formel verkĂŒrzt: âDas Volk ist jeder,
der in diesem Lande lebt.â
Offen bleibt bei Lesch, wie ein in bestÀndiger Auflösung begriffener Na-
tionalstaat ĂŒberhaupt noch integrations- und handlungsfĂ€hig sein kann.
Denn die Wahrnehmung globaler Verantwortung und die Integration von
Fremden âauf allen Ebenen des Politischenâ werden bei aller kosmopoliti-
schen Rhetorik dann doch weiterhin vom Staat erwartet.
Eine ausgewogene sozialethische Urteilsbildung sollte auch die Gegenpro-
be vornehmen und fragen, welche Nebenkosten eine schleichende Abwen-
dung vom Nationalstaat nach sich ziehen könnte. Die MĂŒnsteraner Sozial-
ethikerin Marianne Heimbach-Steins fordert fĂŒr die Politik einen âKom-
passâ ein, âder mit einem âĂberschussâ ethischer Orientierung ĂŒber das
aktuell Machbare und KonsensfĂ€hige hinausweist und eine Zielsetzung fĂŒr
die Politik annimmt, die im Namen der HumanitÀt ein Moment des Utopi-
schen einklagtâ (Heimbach-Steins 2018, 234). GĂ€nzlich anders hingegen
hat der Wiener Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger dar-
auf hingewiesen, dass der gesinnungsethisch ausgerichtete Mainstream
kirchlicher Sozialethik letztlich auf eine Politik hinauslaufe, in der Gren-
Eine ausgewogene sozialethische Urteilsbildung sollte auch fragen,
welche Nebenkosten eine schleichende Abwendung vom Nationalstaat
nach sich ziehen könnte.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven