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axel Bernd Kunze | staat â IdentitĂ€t â recht
â am Ende könnten sowohl die Interessen der einheimischen Bevölkerung
wie auch derjenigen, die dringend auf humanitÀren Schutz und Asyl ange-
wiesen sind, auf der Strecke bleiben.
Sozialethisch bleibt es wichtig, sich ĂŒber die Spielregeln fĂŒr den (mitunter
harten) politischen Streit zu verstÀndigen, diesen zivil zu halten und zu
fragen, welche formalen Regeln fĂŒr Christen dabei unabdingbar gelten soll-
ten â dies verbietet populistische Vereinfachungen, gleich ob vom rechten
oder linken Rand oder auch aus der Mitte der Gesellschaft. Zu diesen Stra-
tegien, die auf Dauer den öffentlichen Diskurs beschÀdigen, zÀhlt auch, im
politischen und wissenschaftlichen Streit abweichenden Positionen nicht
mit Argumenten zu begegnen, sondern den politischen Gegner zu etiket-
tieren und so seine Position als argumentationsunwĂŒrdig zu brandmarken.
Dem Verfassungsrecht eignet grundsÀtzlich ein konservatives Moment. Der
liberale Rechts- und Verfassungsstaat kann eine bestimmte âLeitkulturâ
seiner BĂŒrger nicht hoheitlich herstellen, aber er darf einen entsprechen-
den, politisch belastbaren GedÀchtnisraum fördern. Der Kreuzerlass im
Freistaat Bayern, der im FrĂŒhjahr 2018 fĂŒr Konfliktstoff sorgte, ist durch-
aus legitim (vgl. Kunze 2018). Nach dem Willen der dortigen Landesregie-
rung muss seitdem in jeder Landesbehörde im Eingangsbereich ein Kreuz
hÀngen. Recht und staatliche Ordnung leben von affektiven Bindungen an
ihre kulturellen PrÀgungen. Und eine stabile Rechts- und Staatsordnung
lebt davon, dass die Herkunft der ihnen zugrundeliegenden Werte und
Prinzipien aus der spezifischen, einheimischen Tradition nicht geleugnet
wird.
FĂŒr den deutschsprachigen Kulturraum ist ein nationalstaatlicher Zentra-
lismus untypisch. Dies hat zahlreiche historische GrĂŒnde, die hier nicht
nÀher diskutiert werden können. Heutige Bundesstaaten sind aber auch
nicht einfach nur ein loser Verbund regionaler Landsmannschaften. In ih-
nen organisiert sich das Staatsvolk als eine politische Schicksalsgemein-
schaft, die durch gemeinsame Geschichte, Tradition, Sprache und Werte
zusammengehalten wird.
Im staatlichen Zusammenleben hat es immer die Möglichkeit der EinbĂŒr-
gerung gegeben, doch darf diese nicht unter Wert verkauft werden. Wer
eine andere Staatsangehörigkeit anstrebt, von dem muss mehr als ein for-
males Bekenntnis zur Verfassung verlangt werden. Andernfalls steht zu
Eine stabile Rechts- und Staatsordnung lebt davon, dass die Herkunft
der zugrundeliegenden Werte nicht geleugnet wird.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven