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axel Bernd Kunze | staat â IdentitĂ€t â recht
kollektiver Zugehörigkeit und kultureller Eigenart und garantiert dadurch
IndividualitÀt und Freiheit. Zum anderen sind die Menschenrechte zwar
vorstaatliches Recht, bleiben aber auf einen handlungsfÀhigen Staat ange-
wiesen, der sie garantiert und wirksam schĂŒtzt.
Im freiheitlichen Rechtsstaat werden die Maximen von Recht und Ord-
nung nicht starr angewandt, sondern im Licht der MenschenwĂŒrde als dem
Fundament der gesamten Rechtsordnung. In der Praxis zeigt sich dies bei-
spielsweise darin, dass sich das angewandte Recht an Angemessenheits-
normen orientieren und die zu seiner Durchsetzung eingesetzten Mittel
sich am MaĂstab der VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit messen lassen mĂŒssen. Aller-
dings dĂŒrfen sich auch humanitĂ€re Maximen im Rechtsstaat nicht einfach
ĂŒber Recht und Gesetz hinwegsetzen â so der Soziologe Dieter Prokop in
der Frankfurter Allgemeinen vom 24. Juli 2017: âDas Problem hierbei ist,
dass das menschliche GefĂŒhl seine eigene Dynamik hat: GefĂŒhlte Ange-
messenheitsnormen sind weit auslegbarâ (Prokop 2017, 6). HierfĂŒr gibt
eine âWillkommenskulturâ, die dem vereinfachenden Slogan âRefugees
welcomeâ folgt, reichlich Anschauungsmaterial ab.
Ein moralischer Impetus, der sich ĂŒber Recht und Gesetz hinwegsetzt, ver-
hindert notwendige Differenzierungen in der Anwendung bestehenden
Rechts, beispielsweise die Unterscheidung zwischen politisch Verfolgten,
die unter die Genfer FlĂŒchtlingskonvention fallen, KriegsflĂŒchtlingen, fĂŒr
die gesetzlich bestimmte temporÀre Aufenthaltsgenehmigungen gelten,
Personen, die ohne Kriegs- oder Verfolgungsgrund unter die ĂŒbliche Aus-
lÀnder- und Einreisegesetzgebung fallen, oder sogar kriminellen Grenz-
verletzern. Wo aber nach dem Gesetz notwendige Differenzierungen nicht
mehr vorgenommen werden, nehmen am Ende die Gleichheit vor dem
Gesetz und die faire Anwendung bestehenden Rechts Schaden â und zwar
gerade deshalb, weil am Ende Ungleiches pauschal gleichgesetzt und der
gerechten Beurteilung entzogen wird.
Zu den Pflichten der Vernunft gehört es, dass GesellschaftsvertrÀge, die
Rechtssicherheit garantieren sollen, eingehalten werden. Ein Staat, der das
Zutrauen in seine eigene Rechtssicherheit und Rechtsverbindlichkeit un-
tergrÀbt, wird auf Dauer auch kein verlÀsslicher Adressat der Menschen-
rechte mehr sein können. Die EuropÀische Union, die ihre eigenen VertrÀge
Ein Staat, der das Zutrauen in seine eigene Rechtsverbindlichkeit untergrÀbt, wird
auf Dauer auch kein verlÀsslicher Adressat der Menschenrechte sein können.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven