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Kurt remele | Christliche Kakistokratie
typologische Gleichsetzung von George Washington mit Moses und von
Abraham Lincoln mit Jesus Christus, die Soldatenfriedhöfe von Gettysburg
und Arlington als heilige Stätten und schließlich die amerikanischen Na-
tionalfeiertage, vor allem der Thanksgiving Day, der seit 1621 an die erste
Ernte der Pilgerväter erinnert, und der Memorial Day, der zu Ehren der im
Krieg für das Vaterland Gefallenen gefeiert wird.
Merry Christmas und religiöser Pluralismus
„Wirf ein Ei aus dem Fenster eines Schlafwagenwaggons“, schrieb der
Journalist Henry Louis Mencken in den 1920er-Jahren, „und du wirst heu-
te fast überall in den Vereinigten Staaten einen Fundamentalisten treffen.“
(zit. n. Ruthven 2007, 1) Für viele Beobachterinnen und Beobachter der
USA, gerade solche aus Europa, hat sich diesbezüglich seit Menckens Zeit
nicht viel verändert. In der Tat: Christliche Fundamentalisten stellen in den
Vereinigten Staaten von Amerika nach wie vor einen ernstzunehmenden
religiösen und gesellschaftlichen Machtfaktor dar. Dennoch wäre es grob
vereinfachend und falsch, Religion in den Vereinigten Staaten vorrangig
oder gar ausschließlich in ihrer rechtskonservativen oder gar fundamenta-
listischen Variante wahrzunehmen. Es gibt in der US-amerikanischen Ge-
sellschaft nämlich heute nicht nur eine fast unüberschaubare Fülle christ-
licher Denominationen, sondern auch fast alle großen und kleinen nicht-
christlichen Religionen dieser Welt. Vor allem in den letzten fünf Jahrzehn-
ten haben sich die USA von einer fast ausschließlich christlichen zu einer
religiös pluralistischen Gesellschaft gewandelt: In ihrer Publikation A New
Religious America: How a Christian Country Has Become the World’s Most Re-
ligiously Diverse Nation (Eck 2001) hat die in Harvard lehrende Religions-
wissenschaftlerin Diana L. Eck diese neueren Entwicklungen eindrucksvoll
dokumentiert. Die liberale Einwanderungspolitik Mitte der 1960er-Jahre
führte dazu, dass zahlreiche Muslime und Buddhisten, Hindus und Sikhs,
Jains und Zoroastrier aus allen Teilen der Welt in die Vereinigten Staaten
kamen und das Land in eine höchst religionsplurale Gesellschaft verwan-
delten.
In Silver Spring, Maryland, einer Stadt mit über 70.000 Einwohnern unweit
von Washington D.C., wurde mir diese „Verbuntung“ (Zulehner 2011) der
Die USA sind heute jedoch eine höchst religionsplurale Gesellschaft.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven