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rita Perintfalvi | Widerstand gegen rechtspopulismus im namen der Zivilisation der liebe
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum die ungarische katholi-
sche Kirche die illiberale Demokratie von Viktor Orbán unterstützt. Dahinter
steht die historische Tradition des langen Flirts der katholischen Kirche mit
dem antiliberalen Autoritarismus. Wegen ihrer antiliberalen und antikom-
munistischen Einstellung hat sie lange Zeit autoritär-katholische Regimes
unterstützt, wie z. B. jenes von Franco in Spanien (1939–1975), Tiso in der
Slowakei (1938–1945), Salazar in Portugal (1932–1968), den „Christlichen
Ständestaat“ in Österreich (1934–1938) und Horty in Ungarn (1920–1944).
Dieses Muster der Vergangenheit taucht gegenwärtig erneut auf.
AuĂźerdem haben die Kirchen in Mittel-Ost-Europa das Trauma der Verfol-
gung während des Kommunismus noch nicht ganz verarbeitet, die heftige
und mit Emotionen beladene antikommunistische AttitĂĽde kommt auch
daher. Die ausgeprägte antiliberale Einstellung dieser Kirchen ist einer-
seits ein Teil des Kampfes gegen die Moderne, andererseits ist sie durch
rechtspopulistische Propaganda zurzeit intensiviert. So wurden Begriffe
wie Toleranz, Gender (und damit die Gleichwertigkeit der Geschlechter),
Liberalismus oder Menschenrechte in den letzten Jahren zu dämonisierten
Schimpfwörtern. Aus diesem Blickwinkel gesehen ist es kein Zufall, dass
die Mehrheit der katholischen kirchlichen FĂĽhrungspersonen die illibera-
le Demokratie von Orbán nicht nur naiv und kritiklos, oder nur aus Angst
– wobei beängstigende Taktiken der Regierung nicht zu vergessen sind –,
sondern strategisch unterstĂĽtzt.
Bei dieser Kollaboration mit der autoritären Regierung in Ungarn ist auch
die ambivalente Beziehung zum Zweiten Vatikanischen Konzil und zu sei-
nen Ergebnissen von Bedeutung. Dieses stellte eine radikale Abkehr von
der lange gepflegten Modernefeindlichkeit und somit eine tiefe anti-fun-
damentalistische Zäsur dar. Die Ideale und Errungenschaften der Franzö-
sischen Revolution wie etwa die Religionsfreiheit und andere Menschen-
rechte sowie die Demokratie selbst wurden endlich akzeptiert und positiv
bewertet. Daraus entstand das Bekenntnis zur Religions- und Gewissen-
freiheit, die Betonung der Notwendigkeit eines ökumenischen Dialogs etc.
Die christlichen Kirchen und Theologien westlich des Eisernen Vorhangs
konnten mithilfe aufklärerischer Religionskritik in einem Prozess nach-
holender Modernisierung die positive Bedeutung der Menschenrechte so-
wie von Demokratie und Pluralismus entdecken. Genau diese Bewegung
Warum unterstĂĽtzt die ungarische katholische Kirche
die illiberale Demokratie von Viktor Orbán?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven