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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
Lebens und Wirtschaftens, die sich unterscheiden mögen, aber sie setzen
immer eine Art Gemeinschaft voraus.
Solche Grenzen des normativen Individualismus werden im Folgenden an
zwei Beispielen verdeutlicht, an denen man heute als normativ-ethisch
interessierter Ökonom nicht vorbeigehen kann: dem Klimaproblem (Ab-
schnitt 2) und der in Abschnitt 3 behandelten Frage der von Wilfrid Schreiber
(1955) als Teil eines „Generationenvertrags“ im engeren Sinn konzipierten
umlagefinanzierten Alterssicherung. Kurze Überlegungen zur Familienpo-
litik (von Schreiber ebenfalls als Teil des Generationenvertrags konzipiert)
ergänzen diese Überlegungen. Abschnitt 4 skizziert abschließend ein Sze-
nario der Privatisierung der Alterssicherung, welches die Einbettung einer
Alterssicherung im Sinn des Schreiberschen Generationenvertrags in ein
weit darüber hinausgehendes Gefüge des sozialen Ausgleichs verdeutlicht,
und zwar gerade anhand einer sukzessiven Auflösung eines solchen Gefü-
ges. Resümee und Ausblick schließen den Essay ab.
Intergenerative Klimagerechtigkeit
Eine der Besonderheiten des Klimaproblems besteht darin, dass global-
planetare, die ganze Menschheit betreffende Handlungszusammenhän-
ge, Wechselwirkungen und Grenzen in ungekannter Deutlichkeit zum
Bewusstsein gebracht werden. Die Frage der Gerechtigkeit zwischen den
Generationen stellt sich hier klar wie selten zuvor in übergreifendem, glo-
balem Maßstab. Dies impliziert auch ein Phänomen, welches auf einer po-
lit-ökonomischen Ebene seit einigen Jahren1 mehr und mehr als faktisch
relevantes Hindernis auf dem Weg zu wirksamer Klimapolitik erkannt
wird: nämlich dass die Klimafrage politisch nicht aussichtsreich zu bear-
beiten ist, ohne andere Ebenen der Gerechtigkeit auf nationaler und inter-
nationaler Ebene zu berücksichtigen und zu adressieren. Dabei wird ein in
seiner aktuellen Relevanz dramatisches Beispiel für die Grenzen einer in-
dividualistischen Sichtweise im Hinblick auf den Umgang mit dem Problem
des Interessenausgleichs zwischen den Generationen sichtbar. Dies soll im
Folgenden etwas ausgeleuchtet werden.
Im normativen Rahmen der individualistischen Ökonomik wird die lang-
fristige soziale Vorteilhaftigkeit klimapolitischer Investitionen mit einer
Art intertemporaler Kosten-Nutzen-Analyse ermittelt, wobei zukünfti-
ge Nutzen diskontiert werden. Unter KlimaökonomInnen herrscht jedoch
weitreichende Uneinigkeit über die korrekte ökonomische Kosten-Nut-
1 Vgl. hierzu den Schlussabschnitt
von Sturn 2011a.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven