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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
zen-Rechnung klimapolitisch relevanter Investitionen. Diese Uneinigkeit
ist nicht zuletzt das Resultat unterschiedlicher Annahmen ĂĽber die sach-
gerechte Diskontierung (d. h. Abwägung gegenwärtigen und zukünftigen
Wohlergehens) – unter Voraussetzung jenes normativ-individualistischen
Rahmens, wie er eben der normativen Ă–konomik zugrunde liegt. Sturn und
Klimascek (2019) fassen die Grundlogik dieses Rahmens wie folgt zusam-
men: Ereignisse, die erst in der Zukunft eintreffen, werden in aller Regel
diskontiert, um ihren Gegenwartswert zu berechnen. Normalerweise be-
kommen wir lieber 100 Euro (€) heute als 100 € in einem Jahr. Doch wie
sieht es aus, wenn wir uns zwischen 100 € heute und 110 € in einem Jahr
entscheiden müssten? Jene, die 100 € heute bevorzugen, diskontieren die
Zukunft stärker ab als jene, die 110 € in einem Jahr bevorzugen. Dabei kann
es viele GrĂĽnde fĂĽr eine unterschiedlich starke Diskontierung geben. Max,
der in kurzfristigen Geldnöten ist, wird sich wohl für die 100 € heute ent-
scheiden, ebenso wie Moritz, welcher der Meinung ist, er könne aus diesen
100 € durch kluge Investments mehr als 110 € in einem Jahr erwirtschaften.
Ein Zinssatz von 10 % per annum ist aber vielleicht höher, als es Katharinas
individueller Zeitpräferenzrate entspricht, die sich mithin für die 110 € in
einem Jahr entscheidet.
Eine solche Diskontierung zukünftiger Vorteile wird von Klimaökono-
mInnen nun fĂĽr die soziale Bewertung klimarelevanter Investitionen vor-
genommen. In Hinblick auf die klimapolitische Relevanz der Vermeidung
oder Nicht-Vermeidung von CO2-Emissionen mĂĽssen wir allerdings viel
längerfristige Zeithorizonte betrachten als im Rahmen jener anderen öf-
fentlichen Projekte, fĂĽr welche das Instrumentarium der Kosten-Nutzen-
Analyse entwickelt wurde.
Zum einen stellt sich die ethische Frage, inwiefern es fĂĽr die Gesellschaft
als Ganzes ĂĽberhaupt legitim ist, die Wohlfahrt zukĂĽnftiger Generatio-
nen zu diskontieren. Es kann doch nicht sein, dass Angehörige zukünfti-
ger Generationen „weniger wert“ sind. So würden zumindest viele phi-
losophische EthikerInnen argumentieren. Ă–konomInnen, die sich dieser
Problematik bewusst sind, fĂĽhren typischerweise als vertretbaren Grund
fĂĽr eine (folglich sehr geringfĂĽgige) Diskontierung an, es bestehe eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit dafĂĽr, dass die Menschheit aus nicht mit dem Kli-
ma zusammenhängenden Gründen untergeht, bevor der Klimawandel dra-
Wie lassen sich gegenwärtiges und zukünftiges
Wohlergehen gegeneinander abwägen?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven