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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
matische Auswirkungen zeitigt. Zum anderen wird vor allem von Ökono-
mInnen argumentiert, auch bei klimapolitischen Investitionen müsse man
einen ökonomisch sinnvollen Zinssatz annehmen, denn sonst komme es
zu Fehlinvestitionen.2
Jedenfalls zeigt sich, dass Unterschiede des gewählten Diskontierungsfak-
tors große Auswirkungen auf unser Ergebnis haben. Der bekannte Ökonom
N. Gregory Mankiw (2009) nutzte in seiner Demonstration der weitrei-
chenden Implikationen unterschiedlicher Diskontraten das Volkseinkom-
men als Bemessungsgrundlage. Er ging – der Einfachheit halber – davon
aus, dass dieses konstant bleibt, es aber in 100 Jahren zu einem Ereignis
(nennen wir es: Klimaschaden) kommt, welches das Volkseinkommen
dauerhaft um 100 Milliarden $ senkt. Es stellt sich nun die Frage, wieviel
man heute zu zahlen bereit wäre, um dieses Ereignis zu verhindern. Bei ei-
nem Diskontierungsfaktor von 1 % p. a. kommen wir auf ein Ergebnis von
fast 3,7 Billionen $. Nehmen wir hingegen einen Diskontierungsfaktor von
5 % p. a. an, so kommen wir lediglich auf einen Wert von 15,2 Milliarden $.
Dies entspricht einem Unterschied um mehr als das 200-fache, obwohl wir
von der gleichen Schadenshöhe und dem gleichen Zeithorizont sprechen.
Wir änderten lediglich den Diskontierungsfaktor. Wie Stern (2007) argu-
mentiert, lassen sich aus normativer Sicht keine überzeugenden Gründe
für einen Diskontierungsfaktor von 5 % vorbringen, der wohl eine Kli-
mapolitik im Sinn der Erhaltung der Lebensgrundlagen zukünftiger Ge-
nerationen unmöglich machen würde (vgl. in diesem Sinn auch Llavador/
Roemer/ Silvestre 2009).3
Zwischenfazit
Die oben skizzierten großen Bewertungsunterschiede für klimarelevante
Investitionen deuten so etwas wie eine reductio ad absurdum eines zu weit
getriebenen normativen Individualismus an: Die Suche nach einem belast-
baren ökonomischen Kalkül einer Kosten-Nutzen-Analyse endet im Nir-
wana fiktiver Modellwelten. In diesem Sinn und für den vorliegenden Kon-
text des Klimawandels ist die Frage „Soll der Diskontfaktor groß oder klein
sein?“ nur bedingt relevant (auch wenn wir uns vielleicht eher auf die Seite
jener schlagen würden, die einen kleinen Diskontfaktor bevorzugen). Kli-
2 Vertiefend zu den Problemen, die
bei der Anwendung von Kosten-
Nutzen-Analysen auf die Evaluie-
rung klimapolitischer Maßnahmen
zu berücksichtigen sind, vgl. die
Ausführungen im Anhang des Bei-
trags.
3 Dies hat weitgehende Impli-
kationen auch für die Frage nach
dem angemessenen CO2-Preis im
Rahmen preisförmiger Anreize zur
CO2-Reduktion wie CO2-Steuern. Mit
einem niedrigen Diskontfaktor à la
Stern ergibt sich ein CO2-Preis von
300 € und darüber, wohingegen ein
höherer Diskontfaktor à la Nordhaus
(2006) etwa ein Zehntel dieser Grö-
ßenordnung ergibt.
Unterschiede des gewählten Diskontierungsfaktors haben große
Auswirkungen auf das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Analyse.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven