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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
mapolitik lässt sich unter den skizzierten individualistischen Prämissen,
die mehr für „lokale“, partialanalytisch abgrenzbare Bewertungsprobleme
gut geeignet sind, nicht robust rechtfertigen.
Erweitert man indes den Bewertungshorizont fĂĽr klimapolitische MaĂźnah-
men, etwa durch utilitaristische oder suffizienztheoretische Kriterien (ge-
rade Letztere werden aus guten GrĂĽnden in philosophischen Diskussionen
zur Klimagerechtigkeit viel verwendet; vgl. Kyllönen/Basso 2017), dann
wird unmittelbar klar, dass dies auch Implikationen fĂĽr Verteilungsproble-
me innerhalb der heute lebenden Generationen hat. Daher ist es aber auch
folgerichtig, dass diejenigen, welche die Anwendbarkeit aller Kriterien der
Verteilungsgerechtigkeit (ob utilitarisch, egalitaristisch oder suffizienz-
theoretisch)4 fĂĽr groĂźe Gesellschaften bestreiten,5 konsistenterweise auch
dazu tendieren werden, staatliche Klimapolitik abzulehnen. Denn nen-
nenswert kostspielige Klimapolitik lässt sich auf der Basis der fraglichen
individualistischen Prämissen eben tatsächlich nicht robust rechtfertigen.
Hält man hingegen nennenswert kostspielige Klimapolitik für gerechtfer-
tigt, unterstellt man implizit oder explizit Gerechtigkeitskriterien, welche
in einer Welt mit sehr ungleich verteiltem Reichtum effektive Verteilungs-
politik innerhalb der einzelnen aktuell lebenden Generationen gebieten
wĂĽrden.
Anders formuliert: Ein Utilitarist, ein Suffizienztheoretiker oder ein Ver-
treter egalitaristischer Prinzipien, der auf Basis des von ihm vertretenen
Prinzips intergenerativ wirkende Klimapolitik begrĂĽndet, kann Vertei-
lungspolitik innerhalb der derzeit lebenden Generation nicht kategorisch
ablehnen, ohne inkonsistent zu werden.
Diesem Umstand wird ĂĽbrigens auch in der Vorgangsweise umsichtiger
KlimaökonomInnen indirekt Rechnung getragen. Dies ist bei Sterns An-
passung des Instrumentariums der Kosten-Nutzen-Analyse der Fall. Auch
Heal und Schlenker (2019) gehen in ihren Berechnungen von CO2-Preisen
nicht mehr primär von der Frage aus: „Welcher CO2-Preis wäre heute unter
Annahme eines bestimmten Diskontfaktors gerechtfertigt?“, sondern von
der pragmatischen Frage, „Wie hoch wird/muss ein CO2-Preis sein, der zu
einer CO2-Emissionsreduktion um einen bestimmten Prozentsatz führt –
bzw. der den Temperaturanstieg auf X Grad Celsius begrenzt?“
4 Es sei hier nur am Rande ange-
merkt, dass suffizienztheoretische
Positionen unter diesen drei nor-
mativen Ansätzen wohl am meisten
auf Vorstellungen ĂĽber das soziale
Leben in menschlichen Gemein-
schaften angewiesen sind, da sie im
Unterschied zu egalitaristischen und
utilitaristischen Ansätzen in Kombi-
nation mit ganz abstrakten Metriken
(Geld, Nutzen) kaum Sinn machen,
sondern so etwas wie GrundgĂĽter,
Functionings oder dergleichen als
Bezugspunkte dafür benötigen, was
zum (guten) Leben genĂĽgt.
5 Hayeks Argumentation zum
Trugbild sozialer Gerechtigkeit ist
nur ein Beispiel in einem vielfältigen
Strang individualistischer Positio-
nen; vgl. Hayek 1976.
Klimapolitik und Verteilungspolitik lassen
sich nicht voneinander trennen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven