Page - 32 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
Image of the Page - 32 -
Text of the Page - 32 -
32 | www.limina-graz.eu
Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
schiedlichen Einkommensklassen wahrnehmen – anstatt eines zwischen
den Generationen.5 Die Pensionsbeiträge wären in ihrer Wahrnehmung
nichts anderes als eine Steuer. So könnte das Bild eines Generationen- bzw.
Versicherungsvertrages unglaubwürdig werden.
Ähnliches gilt mutatis mutandis für versicherungsfremde Leistungen aller
Art. Sozialpolitik-Experten wie Schreiber (1955) und Schmähl (2011) be-
tonten immer wieder, dass überbordende versicherungsfremde Leistungen
das System in fatale Finanzierungsprobleme führen, wenn sie nicht durch
zusätzliche Finanzströme aus dem allgemeinen Steueraufkommen kom-
pensiert werden.
Ein verteilungspolitisches Paradoxon besteht darin, dass dieser strategi-
sche Zug der PrivatisierungsbefürworterInnen von jenen oft nicht durch-
schaut wird, die politisch für mehr Gleichheit in der Einkommens- und
Vermögensverteilung plädieren. Da dieser strategische Zug darauf abzielt,
die wohlhabenderen Menschen mehr zu belasten, „verbessert“ er zunächst
scheinbar die Verteilungsgerechtigkeit. Allerdings geht dies nicht ohne
Kollateralschaden ab. Die politische Unterstützung der Sozialversicherung
nimmt insgesamt tendenziell ab, sobald die Wohlhabenderen anfangen
zu glauben, dass andere nicht ihren gerechten Anteil zahlen. Damit kann
ihnen ein Hinausoptieren und der Übergang zu einem privaten System
leichter schmackhaft gemacht werden. Sie fallen als OpponentInnen gegen
eine Privatisierung der Alterssicherung weg, die am Ende aber die einkom-
mensschwächsten Erwerbstätigen am meisten negativ betrifft.
Die dritte Gruppe würde aus jüngeren Erwerbstätigen bestehen. Sie müss-
ten ständig daran erinnert werden, dass ihre Beiträge eine beachtliche Um-
verteilung zugunsten der Älteren finanzierten, denen ein enormer Sozial-
zuschuss gewährt werde. James M. Buchanan (1983, 252) erörtert all dies
und verschiedene darüber hinausgehende Ideen, welche geeignet sind, die
politische Unterstützung des Systems zu untergraben, so die Dauerdis-
kussion um eine Erhöhung des Pensionsalters und der Beitragssätze, was
vermutlich alle irritiert, aber vor allem diejenigen, die gerade auf der „fal-
schen Seite“ der Grenze bei entsprechenden Pensionsreformen zu stehen
glauben.
Der strategische Zug der PrivatisierungsbefürworterInnen wird
von jenen oft nicht durchschaut, die politisch für mehr Gleichheit
in der Einkommens- und Vermögensverteilung plädieren.
5 Dies wusste auch der „Vater“
der Schweizer umlagefinanzierten
Alterssicherung AHV, der Sozial-
rechtsprofessor und sozialdemokra-
tische Bundesrat (Minister) Hans-
Peter Tschudi, dem das Diktum
zugeschrieben wird: „Die Reichen
brauchen die AHV nicht, aber die
AHV braucht die Reichen.“ Ent-
scheidend ist in diesem Kontext die
ausgewogene Mischung zwischen
Solidarprinzip und Versicherungs-
prinzip.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven