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Jochen Ostheimer | Den eigenen Untergang erzählen, um ihn zu verhindern
einer zukĂĽnftigen Entwicklung unternommen als vielmehr versucht, die
Theorie der anthropogenen Erderwärmung zu widerlegen oder eher noch
ins Unglaubwürdige oder Lächerliche zu ziehen, um so die bestehende
energieintensive Industrie und Landwirtschaft zu stützen. Damit verändert
sich auch das Thema dieses Diskurses. Es geht nur vordergrĂĽndig um den
Klimawandel und seine Folgen. Der eigentliche Sinn solcher kommunika-
tiver Anstrengungen besteht darin, dass „andere Nicht-Tatsachen […] zu
einer anderen Nicht-Politik führen“ (Latour 2017, 53).
Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Diskurskoalition5 verstehen und
inszenieren sich analog zu den Klimaforschern im erstgenannten Modell
als „Aufklärer“, die die Öffentlichkeit über ihre tatsächlichen Interessen
und die eigentlichen Gefahren, nämlich eine wirtschaftliche Rezension,
belehren. Die möglichen Wohlfahrtsverluste, die in der Zukunft drohen,
werden dabei kausal nicht der Umweltveränderung, sondern dem Klima-
schutz zugeschrieben.
Die Erzählung des Klimawandels als Form
der gesellschaftlichen Selbstthematisierung
Bei diesen knapp skizzierten fĂĽnf Varianten einer zukĂĽnftigen Entwicklung
von Natur und Gesellschaft angesichts eines Klimawandels lassen sich her-
meneutisch vier zentrale Parameter herausarbeiten, die die Gemeinsam-
keiten bzw. Unterschiede bedingen.
̟ Ein erstes wichtiges Merkmal betrifft den Aspekt der Kausalität.
Sofern nicht der Klimawandel als bloĂźe Erfindung und Meinungs-
mache abgetan wird, werden verschiedene natĂĽrliche Stoffe und
Vorgänge als Erklärungsmodell angeboten, deren Status allerdings
verschieden ist. Sonnenfleckenzyklus und Wasserdampf sind Wirk-
ursachen im strikten naturwissenschaftlichen Sinn, Treibhausgase
und Aerosole hingegen sind Mittler in einer Ursache-Wirkungs-
Kette, an deren Beginn menschliche Handlungen stehen, weshalb
die Klimaveränderung in diesem Fall als menschengemacht gelten
kann.6 Sie ist eine nicht beabsichtigte Nebenfolge einer nicht beab-
sichtigten Nebenfolge – eine Struktur, die den aktuellen Zustand
kennzeichnet, den man Risikogesellschaft oder Anthropozän nen-
5 Das vom Politikwissenschaftler
Hajer (1995, 2008) eingefĂĽhrte
Konzept der Diskurskoalition ver-
bindet drei Analysedimensionen:
gesellschaftliche Akteure, die eine
bestimmte Deutung eines Themas
vertreten und dabei eine spezifische
Bewertung vornehmen, sich also in
gesellschaftlichen Auseinanderset-
zungen positionieren und dement-
sprechend handeln.
6 Zur Unterscheidung von Zwi-
schengliedern, die Wirkungen passiv
weiterleiten, und Mittlern, die eben-
falls in einer Kausalkette stehen,
darin aber eine eigene Wirkungs-
macht entfalten, vgl. Latour 2007,
bes. 66–75; ders. 2017, 126 Fn. 67,
164. Genau betrachtet zeigen sich
auch bei der Menge und der Vertei-
lung von Wasserdampf anthropo-
gene Veränderungen; sie sind aber
bei weitem nicht so relevant wie die
Veränderung des Kohlenstoffgehalts
der Atmosphäre.
Klimaerzählung 5: Klimawandel als „Nicht-Tatsache“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven