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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
Erziehung auswirkt und in weiterer Folge den Habitus der Kinder prägt. Der
Habitus und das kulturelle Kapital von Kindern mit Migrationshintergrund
unterscheiden sich daher von jenen von Kindern ohne Migrationshinter-
grund, was nicht auf ethnische oder kulturelle Unterschiede zurückzufüh-
ren ist, sondern auf die Migrationserfahrungen der Familie (vgl. Niehaus
2008, 138; Tepecik 2011, 304).
Die Rolle der Mütter auf dem Bildungsweg
In der Untersuchung hat sich gezeigt, dass auch geschlechtsspezifische
Aspekte von Bedeutung sind. Einerseits spielt das Geschlecht in der El-
tern-Kind-Beziehung generell eine Rolle, andererseits ist es in der inter-
generationalen Transmission von Bildungsaufträgen von Bedeutung.
Meist sind es nämlich die Mütter, die sich sehr für den Bildungsaufstieg
ihrer Kinder (insbesondere der Töchter) einsetzen, da sie selbst im Her-
kunftsland keinen Zugang zu höherer Bildung hatten. Sie bemühen sich um
die Kompensation mangelnder Ressourcen, eignen sich Wissen über das
Bildungssystem an, knüpfen Kontakte zu NachbarInnen oder nutzen an-
dere außerfamiliäre Netzwerke, um Fördermöglichkeiten bereitzustellen.
Die meisten Mütter der befragten Studierenden stammen aus ländlichen,
agrarwirtschaftlich geprägten Gebieten der Türkei, in denen traditionel-
le patriarchalische Strukturen und Rollenbilder vorherrschen, wodurch
ihnen der Zugang zu höherer Bildung verwehrt blieb. Die mangelhafte
Schulbildung im Herkunftsland setzte sich nach der Migration aufgrund
unzureichender Weiterbildungsmöglichkeiten fort und hatte eine inter-
generationelle Übertragung des Bildungsauftrags zur Folge, da die Mütter
eine höhere Bildung als wichtige Chance für Unabhängigkeit und Emanzi-
pation ansehen. Der Bildungsauftrag wird insbesondere von den Töchtern
zumeist unhinterfragt übernommen und in eigene Bildungsaspirationen
umgewandelt. In den Worten Aylins:
„Für uns gab es keinen anderen Ausweg als Bildung […], besonders mei-
ne Mama ist hinter uns hergelaufen. Der einzige Weg war Bildung und
Uni. Das war unser Ziel. […] Ich glaube, das liegt daran, dass sie in der
Türkei nur die Grundschule abschließen durfte. […]. Und deshalb mussten
Meist sind es die Mütter, die sich sehr für den Bildungsaufstieg
ihrer Kinder (insbesondere der Töchter) einsetzen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven