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Johannes Thonhauser | Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand
ge und kluge Kärntner Bauern gegenüber, die die türkischen Soldaten in
diverse Fallen locken oder sogar den Pascha erschossen haben sollen (vgl.
Perkonig 1942, 194–197, und Graber 1941, 303).
Die beiden nur kursorisch gestreiften Beispiele mögen für die Nachvoll-
ziehbarkeit der vorgestellten Argumentationslinie genĂĽgen. Bei diesen Er-
innerungsbeständen handelt es sich um Traditionen, die sorgfältig von Ge-
neration zu Generation weitergegeben wurden. Es sind Traditionen, an die
man sich erinnern will und derentwegen man das Erinnern organisiert hat.
Das kulturelle Gedächtnis birgt aber auch Erinnerungen, die nur unbewusst
gespeichert werden und die für bestimmte Zeiträume verborgen bleiben.
Jan Assmann nennt das die mémoire involontaire.
„Das kulturelle Gedächtnis ist nicht nur eine mémoire volontaire, son-
dern auch eine mémoire involontaire, in seinen Tiefenschichten ist vieles
enthalten, das nach langer Latenz wieder wirksam werden und die Men-
schen heimsuchen kann.“ (J. Assmann 2003, 134)
In Kärnten lässt sich dieses Phänomen anhand der Epoche des sogenann-
ten konfessionellen Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert beobachten.
Von der Gegen-Erinnerung zur Gegen-Identität:
Bedrohung und Widerstand als Teil des habitualisierten Gedächtnisses
Nachdem Kärnten im 16. Jahrhundert relativ rasch und fast flächendeckend
protestantisch geworden war (vgl. Leeb 2011, 85–91), dauerte es aufgrund
der lokalen Machtverhältnisse relativ lange bis zum Einsetzen der Gegen-
reformation. Durch diese Verzögerung konnte im Unterschied zu vielen
anderen Gebieten eine weitere Generation protestantisch sozialisiert wer-
den (vgl. Höfer 2011, 202–203). Die umso härter durchgreifenden Rekatho-
lisierungsmaßnahmen im 17. Jahrhundert entwickelten sich zu einer „Ver-
gewaltigung der Gewissen in großem Stil“ (Frankl 2000, 231). Sie reichten
von Zwangsbekehrungen unter Folter ĂĽber Bespitzelung und Denunziation
bis hin zu Vertreibungen und Deportationen. Am Höhepunkt der Ereignisse
kam es zu gewaltsamen Kindesabnahmen der „Transmigranten“, um die-
Das kulturelle Gedächtnis birgt aber auch Erinnerungen,
die für bestimmte Zeiträume verborgen bleiben.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven