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Johannes Thonhauser | Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand
tinuität von kryptoprotestantischen Milieus und politischer Struktur stu-
dieren.
Offenbar haben sich die Erfahrungen mit Staat und Kirche in den krypto-
protestantisch geprägten Regionen über Generationen hinweg zu einem
Habitus des Protestes verfestigt. Der konfessionelle Aspekt dahinter scheint
längst verblasst zu sein. Aus dem Protestantismus wurde ein Protesthabi-
tus. Das Narrativ, das diesen Habitus mitformte, hat seine konkrete Gestalt
im Laufe der Generationen verändert, sein Grundmotiv von Bedrohung und
Widerstand ist aber gleich geblieben. Verändert haben sich allerdings die
Inhalte, von wem die Bedrohung ausgeht und gegen wen es Widerstand zu
leisten gilt. Längst sind es die regierenden Eliten in Wien oder in Brüssel,
denen man grundsätzliche Skepsis gegenüberbringt. Mitunter kann dieses
Misstrauen gegenüber „denen da oben“ aber auch Eliten aus Wissenschaft,
Wirtschaft, Kunst und Kultur betreffen, nicht zuletzt auch die Vertreter der
Amtskirche.
Dieser zuletzt genannte Aspekt ist auch mit der verhältnismäßig schwa-
chen Stellung der katholischen Kirche innerhalb der Kärntner Bevölkerung
in Zusammenhang zu bringen. So wirkten die Erfahrungen aus der Zeit des
konfessionellen Absolutismus in den ausgeprägten Antiklerikalismus der
deutschnationalen Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts hinein. Dem-
entsprechend war auch den Kärntner Vertretern der Amtskirche die Kir-
chenaustrittsgefahr in den 1930er-Jahren wohl bewusst und muss auch
für die oftmals kritisierte „nazifreundliche“ Haltung Bischof Adam Hef-
ters (Bischof von 1915 bis 1939) ins Treffen gefĂĽhrt werden.3 Auch in der
Nachkriegszeit waren die Kirchenbesuchszahlen im Vergleich zu anderen
österreichischen Bundesländern (mit Ausnahme Wiens) deutlich niedriger.
So lässt sich aus diversen Wertestudien ein vergleichsweise ausgeprägtes
Misstrauen gegenĂĽber der katholischen Kirche bis in die Gegenwart nach-
weisen (vgl. Zulehner 1978; Zulehner 2010).
Bemerkenswert daran ist, dass das mit diesem mentalitätsgeschichtlichen
Prozess einhergehende Autoritätsverständnis durchaus ambivalent ist.
Die hier angesprochene Elitenskepsis ist eine sehr abstrakte. Denn „die da
oben“ sind eine unkonkrete Größe. Dieser Form der Obrigkeitskritik ge-
genüber steht eine deutlich ausgeprägte „Untertanenmentalität“, die einer
sehr persönlichen Loyalitätsbeziehung entspringt und in unterschiedli-
chen gesellschaftlichen Bereichen wiederzufinden ist – nicht nur zwischen
3 So bemerkte Hefter einmal ange-
sichts der grassierenden Kirchen-
austrittsbewegung: „Die Bischöfe
Waitz und Gföllner haben leicht
reden und können es sich leisten,
energisch gegen den Nationalsozia-
lismus in ihren Diözesen aufzutre-
ten, da die religiösen Verhältnisse in
Tirol und Oberösterreich doch ganz
anders sind als in Kärnten, wo die
Gefahr des Abfalles eine ungeheure
ist!“ (Adam Hefter, zit. in Oberstei-
ner 1980, 190).
Aus dem Protestantismus wurde ein Protesthabitus.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven