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Johannes Thonhauser | Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand
den Generationen, sondern beispielsweise auch im Berufsleben oder, nicht
zuletzt, im kirchlichen Milieu. Restbestände dieser feudalen Logik vom
„Herrn und Untertanen“ begünstigen mitunter Nepotismus und Willkür-
herrschaft, wie sie auch im Kontext diverser politischer Skandale der jĂĽn-
geren Geschichte des Landes beobachtbar waren (vgl. Dorner-Hörig 2014,
214–215).
Auch hier ist das Narrativ von Bedrohung und Widerstand wirksam, inso-
fern Wir-Gruppen bei realen oder vermeintlichen Bedrohungen von auĂźen
den Loyalitätsdruck nach innen notwendigerweise erhöhen. So spielt der
Begriff der „Heimattreue“ im kollektiven Gedächtnis Kärntens eine her-
ausragende Rolle (vgl. Thonhauser 2019, 337–340). Es ist unschwer zu
erkennen, dass hinter diesem Begriff die Loyalität gegenüber der eigenen
Wir-Gruppe steht, deren Sanktionsmittel nicht nur aus offenen verbalen
Attacken (Stichwort „Nestbeschmutzer“) bestehen können, sondern gera-
de in den zweisprachigen Regionen Kärntens in vielen Fällen eine subtile,
oft intergenerationale Psychodynamik in Gang setzen, die bis zur Verleug-
nung der eigenen sprachlichen Identität führen kann (vgl. Schliefnig 2018).
Eines dieser Sanktionsmittel, die dieses Phänomen maßgeblich mitgeprägt
hat, ist die sogenannte „Windischentheorie“ der 1920er-Jahre, mit der sich
die Argumentationslinie dieses Beitrags wieder zu seinem Ausgangspunkt
zurückbewegt. Die „Windischentheorie“ ist ein weiteres hervorragen-
des Beispiel dafĂĽr, wie sich das Narrativ von Bedrohung und Widerstand
auch nach der Volksabstimmung wandelte. Unter ihrem Einfluss wurde
die Bedrohung von auĂźen, von Jugoslawien her, in die eigene Wir-Gruppe,
die Kärntner Bevölkerung, hinein transformiert. Die vom einflussreichen
Kärntner Landeshistoriker Martin Wutte ausgearbeitete „Theorie“ (vgl.
Wutte 1930, 17–40) teilt die slowenischsprachigen Kärntner und Kärnt-
nerinnen in die „Windischen“, die bei der Volksabstimmung 1920 für den
Verbleib Südkärntens bei Österreich votierten, und die „nationalen Slowe-
nen“, denen in weiterer Folge auch höchstes Misstrauen entgegengebracht
wurde.
Dieses Misstrauen erhielt erneute Bekräftigung im Verlauf des Zwei-
ten Weltkrieges, als sich (nicht nur, aber vor allem) slowenischsprachige
Kärntner und Kärntnerinnen dem antifaschistischen Widerstandskampf
der Partisanen und Partisaninnen in den Südkärntner Bergen anschlossen.
Hinter dem Begriff der „Heimattreue“ steht die
Loyalität gegenüber der eigenen Wir-Gruppe.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven