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Martina Schmidhuber | Mehr-Generationen-Wohnen als Zukunftsmodell
liert, weil sie nur mit fürsorgebedürftigen Menschen zu tun haben. Und sie
neigen selbst zu gesundheitlichen Problemen sowohl physischer als auch
psychischer Art (vgl. Gräßel/Behrndt 2016) – nicht zuletzt, weil sie sich
keine Zeit für sich selbst und ihre Bedürfnisse nehmen können, um Sport
zu machen, sich zu erholen und etwas Unbeschwertes und Geselliges zu
unternehmen. Das verhindert ein gutes Leben, zu dem es eben auch gehört,
sich zu erholen und selbst über sein Leben zu bestimmen (vgl. Nussbaum
1999).
Diese ungerechte Situation entsteht häufig, weil Frauen wie selbstver-
ständlich in die Rolle der Sorgenden gedrängt werden oder sich aufgrund
gesellschaftlicher Erwartungen auch drängen lassen. Andreas Zick und
Beate Küpper sprechen von benevolenten Vorurteilen, die legitimieren,
Frauen wegen ihrer unterstellten Fürsorglichkeit und Hilfsbereitschaft in
bestimmte Rollen zu drängen (vgl. Zick/Küpper 2010, 58). Diese Vorurtei-
le, „die wie positive Bewertungen erscheinen, aber Abwertungen ausdrü-
cken“ (ebd.), zementieren weibliche Stereotypisierungen, die naturgemäß
gar nicht auf jede Frau zutreffen. Dies macht nachvollziehbar, dass sich
gegenwärtig viele Frauen gründlich überlegen, ob sie Kinder haben wol-
len, mit ihrer Familie in das Haus der Eltern/Schwiegereltern ziehen oder
ihre Erwerbstätigkeit für Familienarbeit reduzieren wollen (vgl. dazu z. B.
Donath 2017). Das hat auch damit zu tun, dass Frauen in den vergangenen
fünfzig Jahren hinsichtlich ihres Bildungsstandes deutlich aufgeholt ha-
ben: Im Jahr 1971 hatten 70,4 Prozent der Frauen zwischen 25 und 64 Jah-
ren lediglich einen Pflichtschulabschluss vorzuweisen, 2017 waren es nur
noch 20,9
Prozent der Frauen, die über keine weitere Ausbildung verfügten
(Statistik Austria 2019). Frauen sind dadurch meistens finanziell unabhän-
gig und verharren deshalb auch nicht mehr in unglücklichen Ehen, sondern
leben dann mit ihrem Kind oder den Kindern als Ein-Eltern-Familie (vgl.
Statistik Austria 2019).
Das Zusammenleben mit anderen erfordert häufig Kompromisse, Rück-
sichtnahme und ermöglicht weniger Freiraum. Der Trend des „Mingle-Da-
seins“ belegt diese Diagnose zusätzlich: Sogenannte Mingles präferieren
eine Halbbeziehung (Mixed plus Single), teilen nur Schönes mit einem
Quasi-Partner und genießen weiterhin auch ihre Freiheiten als Single (vgl.
Wippermann/Krüger 2017). Das Zusammenleben mit einem oder mehreren
Scheinbar positive Bewertungen können Abwertungen
ausdrücken und Stereotypisierungen zementieren.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven