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Wolfgang Benedek | Religiöser Fundamentalismus aus menschenrechtlicher Sicht
der Klägerin behaupteten faktenbasierten Meinungsäußerungsfreiheit. Die
von den österreichischen Gerichten ergriffenen Maßnahmen zum Schutz
des religiösen Friedens und des Schutzes der Rechte anderer, wie der Re-
ligionsfreiheit, waren somit rechtmäßig und nicht zuletzt angesichts der
Höhe der Strafe auch verhältnismäßig.7
Frankreich wiederum verfolgt die Tradition eines sehr ausgeprägten Sä-
kularismus, die mit dem islamischen Fundamentalismus zusammenprallt,
was am Beispiel des Beharrens auf einer weiten Meinungsäußerungsfrei-
heit wie der Wiederveröffentlichung der Karikaturen des Propheten Mo-
hammed durch das Satiremagazin Charlie Hebdo und darauffolgende recht-
liche Maßnahmen besonders sichtbar wurde.
Die Meinungsäußerungsfreiheit gewährleistet die Vielfalt der Meinungen,
wie sie für eine pluralistische Demokratie wesentlich ist. Fundamentalis-
tische Strömungen, wie es sie in allen Religionen gibt, versuchen die Mei-
nungsfreiheit, ebenso wie die Meinungsäußerungsfreiheit, zu beschneiden.
Sie fordern Denk- und Redeverbote, wie sie auch für autoritäre und tota-
litäre Regime typisch sind. Der Ruf in Friedrich Schillers Don Carlos, „Sire,
geben Sie Gedankenfreiheit“, steht wieder im Raum, wobei es nicht nur um
den kontrollierenden Staat, sondern auch um die Kontrolle durch nicht-
staatliche Institutionen geht. Dabei gibt es eine große Bandbreite, etwa von
den islamischen Sittenwächtern bis zu den gewaltbereiten Islamisten, von
den militanten Gegnern der Freiheit sexueller Ausrichtung oder der Abtrei-
bung zu denjenigen, die jede Form der Israelkritik als Antisemitismus ver-
folgen, wozu es 2020 vor allem in Deutschland eine breite Debatte gab (vgl.
Zechlin 2020).
Demgegenüber geht es heute wieder um das Offenhalten von Denk- und
Diskursräumen mit Andersdenkenden, von Freiräumen für den Dialog, der
manchmal nur noch in sog. safe spaces möglich erscheint. Liberale Vor-
denker, ob im Islam oder in anderen Bereichen wie der politischen Bildung,
sehen sich mit shitstorms im Internet der sozialen Medien konfrontiert,
die den Boden für Gewaltanwendung aufbereiten können, wie der tragi-
sche Fall des französischen Geschichtelehrers Samuel Paty gezeigt hat, wie
aber auch von liberalen Islamgelehrten wie Mouhanad Khorchide berichtet
wird, der von Teilen der muslimischen communities wegen seiner Ansich-
ten abgelehnt wird (vgl. Zöchling 2020, 19). Ihm soll somit die Meinungs-
7 Siehe E.S. vs Austria, Application
no. 38450/12, Judgment of 25 Octo-
ber 2018. Es geht heute wieder um das Offenhalten von
Denk- und Diskursräumen mit Andersdenkenden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven