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Wolfgang Benedek | Religiöser Fundamentalismus aus menschenrechtlicher Sicht
fundamentalistischen Einzelpersonen oder Gruppen werden genutzt, um
einen Generalverdacht gegen alle Muslime zu schüren. Dies führt zu Aus-
grenzungen und Einschüchterungen durch verbale und tätliche Übergriffe.
Wenn der Staat nicht schützt, ist als Reaktion einerseits ein Rückzug aus
der Gesellschaft zu beobachten, andererseits kann es zu einer Radikali-
sierung kommen, wobei das Internet eine wichtige Rolle spielt. Durch das
Internet wird auch der räumliche Kontext relativiert, da eine als Ungerech-
tigkeit empfundene Behandlung in einem Land zu Reaktionen in anderen
Ländern führen können.
9 Schlussfolgerung
Den Menschenrechten kommt für den Umgang mit religiösem Fundamen-
talismus eine zentrale Rolle zu. Dies ist auch die Konklusion des Buches Al-
lah ist Alles (Scholz/Heinisch 2019, 288). Zu den Menschenrechten gehört
freilich auch das Recht auf Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen
Angelegenheiten ohne Unterschied der Rasse, Religion, politischen oder
sonstigen Weltanschauung.21 Die Menschenrechte gelten im Übrigen nicht
nur im Verhältnis zwischen dem Staat und dem Einzelmenschen – Staats-
bürgerInnen vorbehaltene Rechte wie das Wahlrecht sind die Ausnah-
me –, sie gelten auch zwischen den einzelnen Menschen, wobei dem Staat
in der Regel eine Schutzfunktion zukommt. Der säkuläre Staat hat somit
die Menschenrechte der MuslimInnen vor Verletzungen ihrer Rechte etwa
durch Diskriminierung oder Hassrede ebenso zu schützen, wie er Nicht-
muslimInnen oder liberale MuslimInnen vor gewaltbereiten IslamistInnen
zu schützen hat. Dies gilt analog für alle Religionen.
Die Verbindung des religiösen Fundamentalismus mit dem Populismus
autoritärer Staatsführungen bringt besondere Herausforderungen für die
Menschenrechte mit sich. Die Menschenrechte und die ihnen entsprechen-
den Werte, wie zum Beispiel die Rechtsstaatlichkeit oder der demokrati-
sche Meinungspluralismus, stellen die beste Grundlage für den Umgang der
Menschen miteinander dar, unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund.
Der gleichberechtigte Genuss der Menschenrechte, aber auch Toleranz und
Dialog wirken einer allfälligen Radikalisierung entgegen und können auch
in der Deradikalisierung eine wichtige Rolle spielen. Dazu kann die Men-
schenrechtsbildung beitragen (vgl. Benedek 2018). Eine ‚Kultur der Men-
schenrechte‘ kann somit ein Mittel gegen Fundamentalismen jeder Art
sein, vorausgesetzt, sie kommen allen Menschen in gleicher Weise zu.
21 Siehe Art. 25 in Verbindung mit
Artikel 2 des UN-Paktes über bürger-
liche und politische Rechte von 1966.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven