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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
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Page - 71 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1

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71 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische Gefährdung schließlich als Gewalt äußert. Diese Perspektive übersieht jedoch, dass der größte Teil von Gewaltakten von ihren Urheber:innen als gerecht und moralisch vertretbar angesehen wird. Gewaltakte sind selten durch bloße Zerstörungswut und Ablehnung motiviert, sondern werden durch positive Ziele legitimiert. Fiske und Rai versuchen in ihrem Buch Virtuous Violence aufzuweisen, wie sehr Gewalt in soziale Beziehungen eingebunden ist: „But in every culture, some people sometimes feel morally entitled or re- quired to hurt or kill others. Violent initiations, human sacrifice, corporal punishment, revenge, beating spouses, torturing enemies, ethnic cleans- ing and genocide, honor killing, homicide, martial arts, and many other forms of violence are usually morally motivated. The fact is that people often feel – and explicitly judge – that in many contexts it is good to do these kinds of violence to others: people believe that in many cases hurt- ing or killing others is not simply justifiable, it is absolutely, fundamen- tally right. [...] In short, most violence is the exercise of moral rights and obligations.“ (Fiske/Rai 2014, 1)5 Wenn Fiske und Rai mit ihrer Einschätzung rechthaben, dass Gewalt von Täter:innen als eine legitime Form der Regulierung von sozialen (auch Gottes-)Beziehungen angesehen wird, gelingt ein Verstehen fundamenta- listischer Gewalt nur durch einen Zugang, der sie nicht als reine Destrukti- on versteht. Fundamentalismus als reine ‚Anti-Haltung‘ oder Nihilismus, als bloße Reaktion auf negative Erfahrungen oder als allein durch Angst, Kränkung oder Hass motiviert einzustufen, besitzt keinen analytischen Mehrwert. Zielführender ist es, Fundamentalismus als Realisierung eines inhärenten Gewaltpotenzials von religiösen und nicht-religiösen Bedeutungs- systemen zu verstehen. Hier stellt sich die Frage, warum Gewalt allen Be- deutungssystemen inhärent ist und wie es zur Realisierung dieses Poten- zials kommt. Ich möchte anbieten, als Deutungsschema für dieses Problem die menschliche Ordnungskategorie der Reinheit zu verwenden. Mary Dou- glas hat in ihren klassischen Studien zu Reinheitsvorstellungen (Douglas 1985) aufgezeigt, wie Reinheitskonzepte aus sich heraus Gewalt erzeugen können. Sie bietet daher einen theoretischen Ausgangspunkt, um Mecha- nismen der Gewaltentwicklung in religiösen und nicht-religiösen Traditi- onen oder Bewegungen offenzulegen. Damit verbunden ist kein exklusiver Anspruch, sondern eine zusätzliche Perspektive, durch die sich neue Inter- pretationsmöglichkeiten und auch Maßnahmen ergeben können. 5 Um das Missverständnis einer begrifflichen Legitimierung von Gewalt zu vermeiden, ist unbedingt auf eine Unterscheidung von de- skriptivem und normativem Moral- begriff bei Fiske und Rai zu achten: Die Bezeichnung von Gewalt als ‚moralisch‘ oder ‚moralisch mo- tiviert‘ bezieht sich immer auf die jeweilige Sichtweise der Täter:innen und keinesfalls auf eine allgemeine, präskriptive Moral. Zur Prävention von Gewalt ist es essenziell, deren Motivationen zu verstehen. Ähnlich hatte zuvor bereits Pinker (2011) argumentiert. Fundamentalismus als reine ‚Anti-Haltung‘ zu verstehen, besitzt keinen analytischen Mehrwert.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
Title
Limina
Subtitle
Grazer theologische Perspektiven
Volume
4:1
Editor
Karl Franzens University Graz
Date
2021
Language
German
License
CC BY 4.0
Size
21.4 x 30.1 cm
Pages
224
Categories
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