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Fabian Müller | Biblizismus als Retter der Tradition?
gen über das Alter der Erde vor. Ausgehend von einer wörtlichen Auslegung
des Buches Genesis (und anderer biblischer Bücher), nimmt er an, dass seit
der Schöpfung 5695 Jahre vergangen sind (vgl. Theoph.autol. 3,28). Basi-
lius von Cäsarea (†379), der Bruder von Gregor von Nyssa, verzichtet auf
eine allegorische Auslegung der Bibel. „Wenn ich aber von Gras höre, dann
denke ich an Gras, und Pflanze, Fisch, Wild, Haustier, überhaupt alles ver-
stehe ich so, wie das Wort besagt“ (Bas.hex. 9,1). Basilius versteht die ein-
zelnen Tage des Sechs-Tage-Werkes im wörtlichen Sinn als 24-Stunden-
Tage (vgl. Bas.hex. 2,8).
Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem Begriff „Anfang“ (archē) im
ersten Vers der Bibel: „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde“ (Gen
1,1). Der Anfang der Schöpfung kann, wörtlich auslegt, vier verschiedene
Dinge meinen: Ursache, Fundament, Formursache und Zielursache (vgl.
Winden 1988, 1260–1261). Der aristotelische Hintergrund (Formal-, Ma-
terial-, Wirk- und Zielursache) ist hier augenscheinlich. Das Sprechen
Gottes (z. B. „Es werde Licht!“) ist, so Basilius, nicht wie eine menschliche
Mitteilung zu verstehen, sondern deutet auf den Logos hin. Der Logos ist
aber Jesus Christus (vgl. Joh 1,1 „Im Anfang war das Wort (Logos)“; Cava-
dini 2019, 141–142). Hier steht die Trinitätstheologie im Hintergrund, über
die im 4. Jahrhundert intensiv diskutiert wurde. Somit ist auch eine wörtli-
che Auslegung davon abhängig, in welchem Bildungsmilieu und in welcher
kirchlichen Tradition der Interpret steht.
3 Biblizismus
Nach diesem zweifellos unvollständigen Einblick in die Auslegungsge-
schichte der Bibel, soll nun der Biblizismus auf seine Traditionsgemäßheit
hin befragt werden. Der Begriff „Biblicism“ taucht wohl erstmals 1843 in
einem Brief des schottischen Autors John Sterling auf (Sterling 1851, III,6).
Heinrich Karpp macht drei Bedeutungsfelder aus, die dieser Begriff im Lauf
der Geschichte abdeckte:
1. ein häufiger Bibelgebrauch,
2. die Bindung an den buchstäblichen Sinn einzelner Bibelstellen und
3. „die Ausrichtung auf das Ganze der Schrift (statt der Beschränkung
auf bevorzugte kirchliche Lehren)“ (Karpp 1980, 478).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven