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Fabian Müller | Biblizismus als Retter der Tradition?
Diese strikte Beschränkung ist wohl das Charakteristikum des gegenwär-
tigen Biblizismus und stellt in dieser Form eine Neuheit dar. Die eingangs
gestellte Frage, ob eine allegorische Auslegung der Bibel nur um den Preis
des Traditionsbruchs zu haben ist, muss verneint werden.
Die seit der Schule von Alexandrien bekannte allegorische Bibelauslegung
ist – mit all ihren Schwierigkeiten – ein ebenso wichtiger Traditionsstrang
der christlichen Exegese wie die wörtliche Auslegung. Wie bei Gregor von
Nyssa, Robert von Melun und Thierry von Chartres deutlich geworden ist,
wurde besonders das Buch Genesis allegorisch ausgelegt. Innerhalb des Bi-
blizismus hingegen ist bei diesem Buch die wörtliche Auslegung die einzig
legitime.
Etwas komplexer ist die Frage nach der Traditionsgemäßheit der wörtli-
chen Interpretation. Hier lassen sich große Ähnlichkeiten zwischen mo-
dernem Biblizismus und der Tradition der wörtlichen Exegese erkennen.
Die als historisch angesehenen Bücher der Bibel berichten demnach über
vergangene Ereignisse.
„Christianity is not based on myth or interesting stories—it is based on
real history. There was a real Adam, to whom we are all related. There
was a real Garden and Fall, which is why we are all sinners. There was a
real Curse, which is why there is death and suffering” (Ham 2002).
In dieser Hinsicht steht der Biblizismus in der Tradition der wörtlichen
Auslegung des Bibeltextes (Theophilus von Antiochia, Schule von Antio-
chia, Basilius der Große, Hugo von Sankt Viktor) (vgl. Lavallee 1986). Wie
aber an der kurzen Darstellung der wörtlichen Auslegetradition deutlich
geworden ist, sind auch wörtliche Auslegungen sehr kontextabhängig.
Basilius der Große, der den Begriff „Schöpfung“ wörtlich auslegt, sieht da-
rin die Verursachung der Welt im Sinn der aristotelischen Lehre von den
vier Ursachen. Das gleiche Phänomen wird an gegenwärtigen, biblizisti-
schen Auslegungen der Schöpfungserzählung deutlich.
Die allegorische Bibelauslegung ist ein ebenso wichtiger Traditionsstrang
der christlichen Exegese wie die wörtliche Auslegung.
Komplexer ist die Frage nach der Traditionsgemäßheit
der wörtlichen Interpretation.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven