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Fabian MĂŒller | Biblizismus als Retter der Tradition?
âdass der Umfang der Erde einhundertachtzigtausend Stadien betrage,
[und] auch nicht angibt, wie weit ihr Schatten reiche, wenn die Sonne
unterhalb der Erde sich bewegt, noch wie dieser die Mondfinsternisse
verursacht, wenn er den Mond trifft. Wenn er [Mose] nun das, was fĂŒr
uns belang- und nutzlos ist, verschwiegen hat, soll ich deshalb die Of-
fenbarungen des Geistes geringer werten als die törichte Weltweisheit?
Oder soll ich nicht vielmehr den preisen, der unsern Geist mit eitlen Din-
gen verschonen wollte und nur das aufschreiben lieĂ, was zur Erbauung
und LĂ€uterung unserer Seelen dient?â (Bas.hex. 9,1).
Ebenso hÀlt Augustinus fest, dass er Christen ausbilden wolle und keine
Mathematiker bzw. Astronomen (vgl. Aug.c.felic 1,10). Die im Zitat von Ba-
silius zu Tage tretende Unterscheidung zwischen weltlichem Wissen und
heilsrelevantem Wissen weist der Biblizismus vehement zurĂŒck. Die wört-
liche Auslegung des Bibeltextes innerhalb eines naturwissenschaftlichen
Grundparadigmas ist somit als das typisch Moderne am Biblizismus an-
zusehen.
Dagegen könnte man einwenden, dass die Bibelauslegung innerhalb des
aristotelischen Paradigmas (vier Ursachen), wie sie bei Basilius zu finden
ist, ebenfalls eine wörtliche Auslegung innerhalb eines nach damaligem
VerstĂ€ndnis ânaturwissenschaftlichenâ Paradigmas sei. Dieser Einwand
lÀsst sich aber entkrÀften, da sich im 4. Jahrhundert Naturphilosophie und
âNaturwissenschaftâ kaum unterscheiden lassen. Aristoteles kennt zwar
die Unterscheidung zwischen Physik und Metaphysik, doch finden sich
auch in seiner Physik zentrale metaphysische Themen (vgl. Arist.metaph.
I,3; Arist.phys. IV,3). Anscheinend kann ein bestimmtes philosophisches
System leichter als Paradigma fĂŒr die Bibelexegese dienen als eine be-
stimmte Disziplin der Naturwissenschaften. So wÀren etwa eine phÀnome-
nologische oder analytische Bibelexegese1 denkbar. Eine wörtliche Exegese
von Gen 1â2 innerhalb des Einsteinâschen oder des quantenphysikalischen
Paradigmas wĂŒrde wohl sehr schnell in einen Konflikt mit zentralen Er-
kenntnissen in diesen Disziplinen geraten.
4 Conclusio
Der kurze Ăberblick ĂŒber die beinahe zweitausendjĂ€hrige Auslegungs-
geschichte der Bibel hat deutlich gemacht, dass eine allegorische Ausle-
gung des Bibeltextes nicht erst in der Moderne beginnt, sondern spÀtestens
mit der Alexandrinischen Schule im 3. Jahrhundert. Von daher ist die Frage
1 Einen solchen Ansatz gibt es tat-
sÀchlich. An der St. Andrews Uni-
versity in Schottland kann man den
Master Analytic and exegetical theo-
logy studieren.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven