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Adem Aygün | Fundamentalismus im zeitgenössischen islamischen Denken
wickeln und an den Zeitgeist anzupassen, ohne ihr Wesen zu verändern.
Darin begründen sich die Kontinuität und die Stärke traditionalistischer
Strukturen in der Neuzeit. Traditionalisten spielen eine gewichtige Rolle,
indem sie eine Alternative zur Moderne bieten. Außerdem fungieren sie in
Zeiten rapiden sozialen Wandels als Bremse. Wird Mitgliedern Fahrlässig-
keit oder Missachtung der Tradition vorgeworfen, können Sanktionen ver-
hängt werden (vgl. Büyükkara 2016, 51–52). Diese Merkmale können bei
allen traditionellen Bewegungen beobachtet werden.
Dem Traditionalismus ist es gelungen, sich zu jeder Zeit und an jedem Ort
in unterschiedlichen Erscheinungsformen und Bezeichnungen zu behaup-
ten und seinen zentralen Status in der islamischen Welt zu bewahren. Zu
seinen Erscheinungsformen gehören drei Orientierungen, die sich trotz der
genannten Gemeinsamkeiten in vielerlei Punkten voneinander unterschei-
den: Salafiyya-, Madrasa- und Tariqa-Traditionalisten.
Der Salafi-Traditionalismus vertritt die Haltung, dass der Koran ohne Ha-
dithe nicht verstanden werden kann. Auf Vernunft beruhende Theologie
und Philosophie wird als schädlich angesehen. Juristische und mystische
Textgattungen werden ignoriert, da sie nach der Zeit von Salaf al-Salih
entstanden sind und auf selbständiger Rechtsfindung bzw. auf Selbster-
fahrungen beruhen. Im Madrasa-Traditionalismus bzw. im Tariqa-Tradi-
tionalismus fungieren nur diejenigen Texte als unantastbare und verbind-
liche Quellen, die dem eigenen Kodex zugehören.
Hier muss auch erwähnt werden, dass die traditionalistischen Bewegungen
von einer patriarchalen Struktur geprägt sind. Jedoch scheint der Tariqa-
Traditionalismus in diesem Zusammenhang toleranter zu sein, da er Frau-
en als Mitglieder betrachtet.
Im Vergleich der drei traditionalistischen Orientierungen nimmt der sala-
fistische Traditionalismus eine exklusivistische Haltung nicht nur in der
theologischen Beurteilung anderer Religionen, sondern auch gegenüber
den anderen Muslimen ein.
Traditionalisten gehen davon aus, dass der Glaube (Iman) drei Pflichttei-
le umfasst: die verbale Bestätigung islamischer Zugehörigkeit, die Ver-
innerlichung des Islam-Bekenntnisses und die Einhaltung der religiösen
Gebote und Vorschriften. Diese Haltung führt zum Ausschluss derjenigen
Personen aus der Gemeinde, die einem Teil der Pflichten nicht nachkom-
Im Salafi-Traditionalismus wird jede auf Vernunft beruhende
Theologie und Philosophie als schädlich angesehen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven