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Rita Perintfalvi | LGBTIQ-Menschen als Zielscheiben rechtspopulistischer und fundamentalistischer Angriffe
Grundgesetz jetzt behauptet, â[d]as Geburtsgeschlecht ist eine Gegeben-
heit, die man nicht Àndern kann, die Menschen sind als Mann oder Frau
geborenâ, fĂŒr die Gesellschaft gefĂ€hrlich, denn diese Behauptung verleug-
net die Existenz intersexueller Menschen, die laut medizinischer Statistik
durchschnittlich 1,7 Prozent der Bevölkerung ausmachen (vgl. Fausto-
Sterling 2000b, 51ff.).
Um zu verstehen, was IntersexualitaÌt bedeutet, soll zuerst der Begriff
âbiologisches Geschlechtâ erlĂ€utert werden. Chromosomensatz, Fort-
pflanzungsorgane und spezifische Hormone bilden die phaÌnotypischen
Merkmale der biologischen Geschlechter aus. Der Begriff âSexâ beschreibt
demnach alle biologischen Dimensionen von Geschlecht. Bei der Unter-
scheidung der biologischen Geschlechter mĂŒssen daher nicht nur offen-
sichtliche physiologische und anatomische Gegebenheiten berĂŒcksichtigt
werden (z. B. KörpergröĂe, Körperbehaarung oder primĂ€re Geschlechts-
organe), sondern auch Differenzierungen hinsichtlich Genetik, Hormon-
haushalt, Immunsystem oder des metabolischen Profils.
Biologisches Geschlecht ist aber nicht einfach in zwei ausschlieĂlichen
Varianten âweiblichâ und âmĂ€nnlichâ zu kategorisieren. In der Biolo-
gie entstand ab den 1970er- und 1980er-Jahren immer stÀrkere Kritik an
biologischen Modellen strikter geschlechtlicher Zweiteilung. Dabei spiel-
te die feministische Wissenschaftskritik eine maĂgebende Rolle, wie die
Veröffentlichungen der US-amerikanischen Naturwissenschaftlerinnen
Anne Fausto-Sterling und Evelyn Fox Keller. Fausto-Sterling publizierte
1985 unter dem Titel Gefangene des Geschlechts? ein Buch, worin sie aktuel-
le biologische Theorien kritisch behandelte. Mit ihren BeitrĂ€gen âDie fĂŒnf
Geschlechter: Warum mĂ€nnlich und weiblich nicht genug sindâ (Fausto-
Sterling 1993) und âDie fĂŒnf Geschlechter erneut betrachtetâ (Fausto-
Sterling 2000a) legte sie die wissenschaftliche Grundlage fĂŒr die KĂ€mpfe
der Intersexuellen-Bewegung.
âDie Annahme, es gebe zwei Geschlechter, ist zu simpelâ, erlĂ€utert Clai-
re Ainsworth 2015 im Artikel âSex redefinedâ. Sie stellt darin den aktu-
ellsten Forschungsstand der Biologie vor, der von einem gröĂeren Spek-
trum geschlechtlicher Entwicklungsmöglichkeiten ausgeht. Im Laufe der
embryo nalen Entwicklung treten bei vielen Menschen entweder Merkma-
le des weiblichen oder des mÀnnlichen Geschlechts deutlicher hervor. Bei
anderen Menschen treten eher Kombinationen auf, die durch die moderne
âDie Annahme, es gebe zwei Geschlechter, ist zu simpel.â
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven