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Rita Perintfalvi | LGBTIQ-Menschen als Zielscheiben rechtspopulistischer und fundamentalistischer Angriffe
Biologie und Medizin entdeckt und alsbald als ‚Störungen‘ gekennzeichnet
wurden. Diese Störungen wurden sogleich pathologisiert, wodurch die ra-
sche Absicht entstand, sie zu bekämpfen.
Der Begriff „Intersexualität“ stammt von Richard Goldschmidt bereits aus
dem Jahr 1915. Die folgenden Abweichungen können das Erscheinungsbild
charakterisieren: nicht-‚typische‘ äußere Geschlechtsmerkmale, abwei-
chende Keimdrüsenanlage (Hermaphroditismus und Pseudo-Herma
phro-
ditismus), abweichende Anzahl der Geschlechtschromosomen oder ein
von der Geschlechternorm abweichender Hormonhaushalt (vgl. Krannich
2016, 14–15).
Im medizinischen Alltag wird das Geschlecht allerdings sofort nach der
Geburt aufgrund der äußeren Geschlechtsorgane bestimmt. Diese strikte
bipolare Betrachtung des Geschlechtes führt dazu, dass alle geschlecht-
lichen Nichteindeutigkeiten als pathologische Ausprägungen verstanden
werden, die operativ zu korrigieren und durch ‚Hormon
therapien‘ im wei-
teren Lebensverlauf zu begleiten seien. Gegen diese Praxis kämpft die heu-
tige Intersexuellen-Bewegung massiv an.
Auch aus der Sicht der modernen biologisch-medizinischen Forschung
erweist sich eine solche zweigeschlechtliche Matrix (Mann oder Frau) als
hochproblematisch. Mit der Entwicklung der Forschung durch Untersu-
chungen auf immer grundlegenderer, mikroskopischer Ebene wurde be-
stätigt, dass „auch das Geschlecht der nicht-pathologisierten Mehrheit
sehr viel fraglicher und vielgestaltiger ist, als gemeinhin angenommen“
(Krannich 2016, 24).
Dies wurde von dem Biologen und Medizinethiker Heinz-Jürgen Voß durch
viele erhellende Fragen zusammengefasst:
„Ist der Chromosomensatz das Entscheidende? Sind es die einzelnen
Gene und die vielen daraus gebildeten Produkte? Von welcher Quanti-
tät eines gebildeten Produktes an gilt ein Mensch als ‚weiblich‘, wann
als ‚männlich‘? Sind es Keimdrüsen, die eindeutig sein sollen – oder
müssen sie auch Keimzellen produzieren (können)? Muss ein ‚Mann‘
über funktionsfähige Samenzellen verfügen, und muss eine ‚Frau‘ neben
der Möglichkeit, Eizellen zu produzieren, auch die ‚inneren Genitalien‘
aufwei sen, einen Embryo entwickeln und austragen können? Oder ist
doch schlicht das äußere Erscheinungsbild der Genitalien – insbesondere
„Ist der Chromosomensatz das Entscheidende? Sind es die
einzelnen Gene und die vielen daraus gebildeten Produkte?“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven