Page - 24 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
Image of the Page - 24 -
Text of the Page - 24 -
25 | www.limina-graz.eu
Irmtraud Fischer | Das Exodus-Paradigma
den Landesvater agiert, und auch deren Gesinde: Alle widersetzen sich der
todbringenden Anweisung – nicht jedoch die Männer! Sie sind alle durch
das Motiv des Todes verbunden: Der Pharao, der den Befehl zum Androzid
gibt, die betroffenen Hebräer, die Fronvögte, die nur ihre Pflicht tun, aber
auch Mose, der vorerst keine anderen Konfliktlösungsstrategien kennt, als
zu töten und daher selbst mit Denunziation und Tod bedroht wird, obwohl
er doch mit vereinten weiblichen Kräften gerettet wurde. Carol Exum, eine
der ersten Forscherinnen, die sich diesem Text von feministischer Seite her
genähert hat, bringt dies auf den Punkt (vgl. Exum 1983, 63–82): Der Pha-
rao wäre eher zum Ziel gekommen, wenn er nicht den Befehl zum Töten der
männlichen, sondern der weiblichen Nachkommenschaft gegeben hätte.
Erst als Mose sich den von den Frauen gewählten Strategien des gewaltlo-
sen Widerstandes anschlieĂźt, kann er als kĂĽnftiger Retter Israels berufen
werden (Ex 2,15–3,12).
Das Risiko der Freiheit:
Die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens
Freiheit bedeutet Selbstverantwortung. Die UnmĂĽndigkeit, die nicht immer
selbst verschuldet sein muss – man denke etwa an Kinder –, bietet häufig
selbst in UnterdrĂĽckungssituationen noch ein geringes MaĂź an Sicherheit
in Bezug auf das nackte Ăśberleben. Selbst Versklavte mussten entspre-
chend versorgt werden, um ihre Arbeitskraft zu erhalten. Diesen Aspekt
thematisieren im Kontext der Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten die
sogenannten Murr-Erzählungen, die während der Wüstenzeit die man-
gelnde Versorgung mit dem täglich Notwendigen, sei es mit Wasser, Brot
oder gar Fleisch beklagen (Ex 16,1–17,7; Num 11,4–23; 31–34; 20,1–13). Sie
sind jeweils verbunden mit dem Vorwurf an die Führungspersönlichkeit,
diese habe sie durch die Flucht bzw. Migration erst in die lebensbedrohliche
Situation des Hungerns und Verdurstens gebracht.
Der Ruf nach den Fleischtöpfen Ägyptens ist sprichwörtlich geworden. Er
charakterisiert einerseits die MĂĽhen der Migration, in denen die Hoffnun-
gen auf ein besseres Leben meist nicht sofort in ErfĂĽllung gehen, sondern
ein solches erst erarbeitet werden muss. Das führt nicht selten zur Verklä-
rung der alten Lebensumstände, die alles Bedrohliche ausblendet. Anderer-
Freiheit bedeutet Selbstverantwortung.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven