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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
das Gute will, aber nicht tut, so dass der innere Zwiespalt zwischen Wollen
und Vollbringen nicht mehr zu schließen ist (Röm 7,15–17). Die paulinische
Formulierung in Vers 20, wer sündigt, sei „frei von Gerechtigkeit“, ist bit-
tere Ironie. Freiheit ohne Gerechtigkeit ist keine, weil sie das Ich gegen Gott
und den Nächsten stellt, damit aber im Innersten auch sich selbst verfehlt.
Umgekehrt ist nach Paulus nur frei, wer nicht mehr unter der Herrschaft
der Sünde steht. Die Sklaverei der Sünde zu verlassen, übersteigt jedoch die
Macht von Menschen, so wichtig auch die Ethik des guten Lebens ist. Des-
halb spricht Paulus in Vers 18 von der Befreiung im Passiv: Subjekt ist Gott.
Er allein ist der Befreier von der Macht des Bösen, der Sünde wie des Todes.
Paulus bezeugt, dass Gott diese Befreiung durch Jesus Christus ein für alle
Mal gewirkt hat (Röm 3,21–26; 6,10) und dass sie im Glauben den Men-
schen zuteil wird (Röm 1,16f.). Da es aber der gerechte Gott ist, der befreit,
führt die Befreiung keinesfalls zu irgendeiner Art von Ungerechtigkeit,
sondern im Gegenteil zu jeder Art von Gerechtigkeit (vgl. Röm 6,13). Ihr zu
dienen, ist Ausdruck der Freiheit und Gewinn an Freiheit, weil es für Paulus
zum Wesen des Menschen gehört, kein Egoist zu sein, sondern in der Liebe
zu Gott und zum Nächsten sich selbst zu finden.
Der paulinische Ton liegt auf der positiven Variante, während die negative
den dunklen Hintergrund bildet. Deshalb greift der Apostel die positive Va-
riante noch einmal auf:
„Jetzt aber, befreit von der Sünde, dient ihr Gott und habt eure Frucht zur
Heiligung, deren Ende ewiges Leben ist“ (Röm 6,22).
Der eschatologische Horizont weitet das Denken über den Verantwor-
tungsbereich der Ethik hinaus. So wichtig er ist – der Raum der Freiheit ist
unendlich weiter. Er wird von Gott selbst eröffnet. Wo gegenwärtig Gerech-
tigkeit geübt wird, ist ein Vorgeschmack bereits zu spüren.
Freiheit als Autarkie oder als Ataraxie verstanden, ist für Paulus ein Ding
der Unmöglichkeit. Autarkie ist eine Illusion, weil Menschen immer in
Beziehungen leben und unter Einflüssen stehen; wesentlich ist nur, wem
sie Macht über sich geben – und dass sie es aus eigenem Antrieb tun, aus
eigener Überzeugung und in eigener Verantwortung. Autarkie ist für Paulus
geradezu ein Horror, weil es unmenschlich wäre, sich von der Beziehung
Freiheit ohne Gerechtigkeit ist keine, weil sie das Ich
gegen Gott und den Nächsten stellt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven