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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
zu anderen abzuschneiden; gleichzeitig ist es für Paulus kein Humanitäts-
gewinn, sondern ein Verlust an Menschlichkeit, den Dienst an der Gerech-
tigkeit nicht als Dienst an Gott zu gestalten, weil die Gerechtigkeit Got-
tes die menschliche Gerechtigkeit übersteigt und unterfängt, so dass ihre
Grenzen ins Unendliche geweitet werden, ins Vollkommene.
Aus demselben Grund ist Freiheit nicht Ataraxie, so sehr die Stoa sie auch
ethisch veredelt hat. Denn entscheidend ist für Paulus gerade nicht die Fä-
higkeit, sich nicht betreffen zu lassen und inneren Gleichmut zu bewah-
ren, komme, was da wolle. Vielmehr sind Empathie und Sympathie Ausweis
wahren Menschseins und deshalb auch verantworteter Freiheit. FĂĽr Paulus
ist der Herzschlag der Freiheit die Liebe.
Die Geistesfreiheit mitten in der Welt
Wie Paulus in Röm 6 die ethischen Dimensionen der Freiheit ausleuchtet,
so in Röm 8 die kosmischen. Zu Beginn rekapituliert der Apostel, warum
diejenigen, die an Jesus Christus glauben, keine Angst vor Gottes Gericht zu
haben brauchen, sondern sich auf die Vollendung freuen dĂĽrfen: Sie sind
von der SĂĽnde und vom Tod befreit. Die Formulierung ist freilich riskant;
sie lässt aufmerken:
„Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat dich befreit
vom Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2).
Die Sprache ist nicht ganz leicht verständlich, weil Paulus mit dem Begriff
des Gesetzes spielt. Im Vor- wie im Nachsatz denkt er (was in der Exegese
strittig ist) an die Tora – aber unter gegensätzlichen Aspekten. Im Nach-
satz steht das Gesetz als Instanz vor Augen, die mit der SĂĽnde und dem Tod
verbunden ist, weil es die Sünder verurteilt (Röm 5,13f.) und allein durch
seine Existenz zum Sündigen verleitet (Röm 7,7–11), wie Adam es nach der
Sündenfallgeschichte erfahren hat (Gen 3,1–6). Im Vorsatz aber ist das Ge-
setz jene Macht, die vom Geist Gottes durchdrungen und in Jesus Christus
erfĂĽllt ist. Es ist das Gesetz, das seine genuine Bestimmung gefunden hat,
Zeuge des Heilswillens Gottes zu sein, Richtschnur der Ethik und Wegwei-
ser des Reiches Gottes. Insofern es vom Geist Gottes erfĂĽllt ist, also Gottes
Geist es als Medium seines Wirkens nutzt, und insofern es „in Christus“
Der Herzschlag der Freiheit ist die Liebe.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven