Page - 86 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
Image of the Page - 86 -
Text of the Page - 86 -
87 | www.limina-graz.eu
Gunda Werner | Freiheit und SĂĽnde
Ist die Freiheit heute ein Phantom? Ein Phantom, so informiert die grie-
chische Wurzel, ist ein Phantasie- oder Trugbild. Bekannt ist das Wort so-
wohl durch Filme als auch im militärischen Bereich. Eine Form von Droh-
nen heiĂźt Phantom. BerĂĽhmt natĂĽrlich auch das Musical, in dessen Titel
„Oper“ und „Phantom“ miteinander verbunden sind. Ist denn die Freiheit
ein Trugbild? Eine Phantasie? Anders gefragt: Was hängt an der Freiheit?
Wieso ist Freiheit wichtig – oder so wichtig, dass sie nicht ein Phantom
sein sollte?
Die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 spricht von der Absicht,
durch diese Verfassung selbst „das Glück der Freiheit“1 für alle – auch in
Zukunft – bewahren zu wollen. Die Erklärung der Allgemeinen Menschen-
rechte 1948 ist im Angesicht der Gräueltaten der Nazi-Herrschaft noch
einmal dezidierter. Denn die „Anerkennung der angeborenen Würde und
dergleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemein-
schaft der Menschen“2 bildet die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und
Frieden.
Wie verhält sich zu diesen Betonungen von Freiheit das Phantom der Frei-
heit? In der Wahrnehmung der gegenwärtigen politischen Situation sowie
der Berichte des Hochkommissars fĂĽr Menschenrechte der UN erscheint es
in der Tat so, als sei die Freiheit ein Phantom in vielen Gegenden dieser
Welt. Denn die Freiheit, wie sie der Präambel der Erklärung der Allgemei-
nen Menschenrechte zugrunde gelegt wird, wird in den Artikeln konkre-
tisiert. Werden diese Konkretisierungen als MaĂźstab genommen, dann ist
Freiheit ein gefährdetes Gut: die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit,
Freiheit auf Asyl, auf selbstbestimmte EheschlieĂźung und vieles mehr. Der
Titel der aktuellen LIMINA-Ausgabe aber, so meine ich, verleitet dazu zu
meinen, Freiheit gäbe es nur, wenn sie gelebt werden könne. Auf Freiheit
als eine zum Menschen gehörende Eigenschaft, also unabhängig vom Voll-
zug, so meine These, ist nicht zu verzichten. Ohne Freiheit wären spezifisch
humane Vollzüge – wie Liebe, Freundschaft, Glauben, Vergeben, Hoffen –
nicht denkbar. Diese These möchte ich mit einer historischen Perspektive
begrĂĽnden (1) und damit die Relevanz fĂĽr ein Festhalten an der Freiheit er-
öffnen (2).
1 https://usa.usembassy.de/
etexts/gov/gov-constitutiond.pdf
[31.10.2018].
2 http://www.un.org/depts/ger-
man/menschenrechte/aemr.pdf
[31.10.2018].
Nimmt man die Konkretisierungen der Freiheit in der
Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte als Maßstab,
dann ist Freiheit ein gefährdetes Gut.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven