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Gunda Werner | Freiheit und Sünde
sierung des Sündenverständnisses. Damit geht einerseits die Aufgabe der
Idee eines freien Willes einher als auch wird hier der entscheidende Schritt
zur Erbschuldtheorie vollzogen. (Pröpper 2001, 1000)3
In dieser letzten Schrift fügt Augustinus verschiedene Theoriestränge zu-
sammen. Denn durch diese Radikalisierung des Sündenverständnisses
wird nun die Disposition des Menschen so verstanden, dass bei ihm be-
reits das Wollen selbst Ort des Bösen ist. Das bedeutet aber nichts Gerin-
geres, als dass der Mensch in das Böse schon immer einstimmt. Wenn dem
aber so ist, dann kann er nicht einmal mehr der Einladung des Evange-
liums frei zustimmen. Deswegen hängt alles an der Gnade, diese aber ist
wesentlich frei und unfehlbar, und zwar auch unfehlbar erfolgreich. So ist
es am Ende alleine Gottes Wahl, wer zum Heil kommt und wer nicht. Ver-
dient hat es kein Mensch. Erwählt Gott, ist er gnädig; verwirft Gott, ist er
gerecht. „Augustinusʼ Prädestinationslehre ist nicht die schauer
liche Idee
eines verdüsterten Menschen, sondern die Konsequenz seiner Erfahrung
und Lehre von der radikalen Unfreiheit des sündigen Geschöpfs einer
seits
und der souveränen, unbezwingbaren Macht der göttlichen Gnade ande-
rerseits.“ (Pröpper 2011, 1017)
Vor allem aber revidiert Augustinus seine Lehre der Ursünde, denn nun
sind alle Menschen als Nachkommen Adams schuldig, auch ohne ihr eige-
nes Zutun. Damit ist die Erbschuldtheorie eine Konstruktion, die für die
Prädestinationslehre, also die Lehre der Vorherbestimmung, notwendig
ist; diese wiederum ist nur notwendig, um die Fragen nach dem Übel so zu
lösen, dass es Gott nicht trifft. „Gott verwirft nicht aktiv, er prädestiniert
nur nicht alle.“ (Pesch 1983, 34)
Lehramtlich wurde freilich die doppelte Prädestination nicht übernom-
men. Dennoch blieb der Gedanke der Vererbung der Schuld und mit diesem
die Schwächung bis Auslöschung der Fähigkeiten des liberum arbi trium er-
halten.4 Aber nicht ohne Widerspruch!5 Allerdings findet die wirkliche Aus-
einandersetzung mit der Vorstellung der Freiheit und der Reichweite der
Erbsünde erst durch die Reformation statt, denn besonders die Position
Luthers erforderte eine Reaktion der katholischen Kirche, die sogar so weit
ging, die Tradition zu verändern, denn lehramtlich konnte ja Luther nicht
zugestimmt werden.
c) Der Disput zwischen Erasmus und Luther
Exemplarisch und geistesgeschichtlich von Bedeutung wurde deswegen der
Disput zwischen Martin Luther und Erasmus von Rotterdam im Vorfeld des
3 In der theologiegeschichtlichen
Rekonstruktion orientiere ich mich
an der Darstellung von Pröpper
2001, weil in dieser die unterschied-
lichen Meinungen bereits eingear-
beitet sind. Deswegen finden weitere
Entwürfe hier keine Verwendung.
4 Die 15. resp. 16. Synode von
Karthago (418) und die 2. Synode
von Orange (529) thematisieren
den freien Willen. Es ist aber die
2. Synode von Orange, die sich in
den anhaltenden Streitigkeiten
zwischen der augustinischen und
pelagianischen Interpretation der
Freiheit und des freien Willens im
Sinne sogar einer Verschärfung der
augustinischen Linie geäußert hatte.
Auf dieser Synode wird beschlos-
sen, dass es keine postlapsarische
Freiheit der Seele geben kann (DH
371); außerdem wird die Vorstellung
der einen Sünde Adams, die auf alle
übergegangen sei (DH 372), vertre-
ten.
5 Exemplarisch sei hier Petrus
Abaelardus genannt, der in seiner
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven