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Gunda Werner | Freiheit und Sünde
wissensfreiheit auch in der Spannung in der Gewissensbildung. An dieser
Stelle ist die theologische Verbindung dieser doch verschiedenen Tradi-
tionsstränge zu finden. Denn so, wie die Freiheit des Willens christlich in
einer Spannung zur Sünde, der aktuellen Freiheitstat als auch der als ur-
sprüngliche Sünde verstandenen Erbsünde steht, steht die Gewissensfrei-
heit in der Spannung, wie das Gewissen sich bildet und wie frei dieses Ge-
wissen ist. Denn das II. Vatikanum schreibt die Erfahrung der Gebrochen-
heit und des Stehens unter der Sünde anthropologisch fort.
Die Lehre zum Gewissen selbst ist im II. Vatikanum in der Spitzenaussa-
ge in Gaudium et Spes 16,1 zu finden. „Das Gewissen ist der verborgenste
Kern und das Heiligtum des Menschen, in dem er allein ist mit Gott, dessen
Stimme in seinem Innersten widerhallt.“ Das Gewissen, so Gaudium et Spes
16,1 sehr deutlich, ist die letzte Instanz, die für die persönliche Entschei-
dung in einer Konfliktsituation herangezogen werden soll und kann. (Wer-
ner 2016a, 262) Im Gewissen entdeckt der Mensch das Gesetz, nach dem
er zu handeln hat. Der Menschen kann sowohl zu einer guten als auch zu
einer durch die Sünde verwirkten Entscheidung kommen. Selbst aber das
irrende Gewissen verliert dann nicht die Würde, wenn der Mensch aus Un-
wissenheit handelt. Das Gewissen ist also der Ort der je persönlichen Ent-
scheidung, die zugleich unter dem Anspruch Gottes und des Evangeliums
steht. In diesem Sinne findet sich ein theonomes Verständnis des Gewis-
sens, denn das im Gewissen auffindbare Gesetz ist ja gerade jenes, wonach
der Mensch dann auch gerichtet wird.
Die Spannung, in der der Mensch steht, wird daher konsequent zwischen
der Gnade und der Sünde aufgespannt und eschatologisch prolongiert, um
die Ernsthaftigkeit der Entscheidungen zu betonen. Allerdings findet sich
römisch-katholisch noch einmal eine weitere Überlegung zum Gewissen
und seiner Freiheit. Denn zu dieser Vorstellung der Freiheit in der Gewis-
sensentscheidung gesellt sich die Vorstellung einer Gewissensentschei-
dung, die sich an dem göttlichen Gesetz ausrichtet. Diese Gewissensform
wird von Norbert Lüdecke zugespitzt als „ekklesionom“ bezeichnet. (Lü-
decke 2008, 396) Im Kontext von Humanae Vitae diskutiert Lüdecke die
Gewissensfreiheit der Eheleute, die darin besteht, „dass sie ihr Gewissen
dem göttlichen Gesetz gleichförmig machen und sich dem Lehramt, das
es authen tisch auslegt, gegenüber gelehrig erweisen (GS 50b)“ (Lüdecke
2008, 372–373) Es wird also deutlich, dass auch dies in Gaudium et Spes zu
finden ist. Hier ist das Gewissen in seiner theonomen Grundstruktur ekkle-
sionom ausgerichtet. (Lüdecke 2008, 396)14
14 Gerade auch die Erklärung zur
Religionsfreiheit in Dignitatis Huma-
nae zeichnet sich in diese Spannung
ein. Im zweiten Teil von DH ist das
Recht des Menschen auf religiöse
Freiheit zu finden, welches sich
auf die Begründungsfigur in DH 1
zurückbezieht. Diese argumentiert,
dass alle Menschen mit Freiheit aus-
gestattet sind und dies ihre Würde
ausmacht. Weil alle Menschen mit
Freiheit und Würde ausgestattet
sind, kann der Akt des Glaubens da-
von nicht ausgenommen sein. Des-
wegen, so DH 10, muss der Mensch
„freiwillig durch seinen Glauben
Gott antworten, […] denn der Glau-
bensakt ist in seiner eigenen Natur
nach freiwillig, da der Mensch, von
Christus, dem Erlöser, losgekauft
und zur Annahme an Kindes Statt
durch Jesus Christus berufen, dem
sich offenbarenden Gott nicht an-
hangen kann, wenn er nicht, indem
der Vater ihn zieht, Gott einen ver-
nunftgemäßen und freien Glaubens-
gehorsam geleistet hat“ (DH 10,1).
Allerdings wird alles daran hängen,
wie das Zueinander von Glaubens-
antwort und Freiheit gedacht wird.
Ernst-Wolfgang Böckenförde macht
in seinen Ausführungen sehr deut-
lich, dass die formulierte Religions-
freiheit gerade nicht im Binnenraum
der Kirche gilt, sondern sich dort das
Paradigma des Glaubensgehorsams
durchzieht. Vgl. Böckenförde 1990.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven