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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
angetan, weil sie auf physikalisch Fassbares reduziert werden müsste. Ich
möchte mich im Folgenden dem Freiheitsbegriff so zuwenden, dass ich
mich auf neurobiologische Voraussetzungen und deren methodische Vor-
gaben, die Freiheit notwendigerweise ausblenden, nicht unhinterfragt ein-
lasse. Daher werde ich versuchen, hinter die kurz skizzierte neurobiologi-
sche Perspektive zurückzufragen. Dabei möchte ich das Freiheitsproblem
auch nicht im Lichte der dritten Antinomie aus Kants Kritik der reinen Ver-
nunft analysieren und eine Vermittlung zwischen naturwissenschaftlicher
und philosophischer Perspektive anstreben. Vielmehr werde ich den Ver-
such unternehmen, einige wenige, mitunter schwierige Aspekte von Frei-
heit vorzustellen und weiterzudenken. Dabei greife ich auf Anstöße zurück,
die vor allem aus der phänomenologischen Denktradition stammen.
Bevor ich darangehe, über Freiheit zu reflektieren, ist noch eine weitere
Spezifizierung vorzunehmen. Es soll nämlich nicht Freiheit im Allgemei-
nen, sondern im Besonderen Freiheit, wie sie in religiösen Bezügen zutage
tritt, untersucht werden. Spricht man in diesem Zusammenhang von „re-
ligiöser Freiheit“, dann ist damit nicht eine separate oder besondere Form
von Freiheit gemeint, die grundsätzlich anders zu verstehen sei als Freiheit
im Allgemeinen. Vielmehr sollen die besonderen Probleme angesprochen
werden, vor denen der Freiheitsdiskurs in religiösen Zusammenhängen
steht. Der Ausdruck „religiöse Freiheit“ ist zudem nicht eindeutig. Wie
Paul Ricœur gezeigt hat (Ricœur 1973, 199/393), kann er zum einen den Akt
betreffen, der von Gläubigen vollzogen, aber auch dann durchgeführt wird,
wenn man eine bestimmte – auch atheistische oder agnostische – Welt-
anschauung vertritt. Ein solcher Freiheitsakt ist – allgemein gesprochenÂ
–
dann notwendig, wenn man sich zu einer bestimmten weltanschaulichen
Überzeugung bekennt. Zum anderen kann mit dem Ausdruck „religiöse
Freiheit“ auch aktive und passive Religionsfreiheit im juridischen oder po-
litischen Sinn gemeint sein, also das Recht, die Überzeugungen der eigenen
Religion oder Weltanschauung in Gemeinschaft und öffentlich zu prakti-
zieren, und das Recht, dass die eigene religiöse oder weltanschauliche Ori-
entierung respektiert wird. Zum Dritten aber bedeutet „religiöse Freiheit“
auch jene bestimmte Qualität von Freiheit, die dann zutage tritt, wenn
Freiheit mit Religion unmittelbar verbunden ist. Mir geht es im Folgenden
um diese spezifische Form von Freiheit, an der sich einerseits ein denkeri-
scher Zugang zu Religion eröffnen kann und die andererseits aus religiösen
Der Begriff der religiösen Freiheit ist mehrdeutig.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven