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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
Wenn auch nicht in theologischen, so doch in ethischen Zusammenhängen
hat Hans Jonas deshalb einem utopischen Denken, das sich mit dem Fort-
schrittsdenken paart und den Freiheitsraum innergeschichtlich abschlie-
ßen möchte, eine Absage erteilt. Die „Notwendigkeit des Abschieds vom
utopischen Ideal“ (Jonas 2015, 287) ist für ihn mit einer anderen, aller-
dings mit einer auch auf Zukunft bezogenen Ethik zu kompensieren, deren
oberstes Prinzip das der Verantwortung ist. Das „Prinzip Verantwortung“
zeichnet sich für ihn unter anderem dadurch aus, dass Handeln aus Frei-
heit, das die Zukunftsdimension einbezieht, gegen Eschatologie-Fanati-
kerinnen und -Fanatiker, die die Geschichte mit eigener Faust vollenden
möchten, selbst von einer Hoffnung getragen sein muss. Diese Hoffnung
ist zwar zunächst diejenige, die darauf bezogen ist, „etwas ausrichten
zu können“, jedoch muss man seiner Meinung nach im Wissen um diese
Hoffnung immer „darauf gefasst sein, später einmal wünschen zu müssen,
[man] hätte nicht oder anders gehandelt“ (Jonas 2015, 391).
Quasi-religiöse Positionen, die meinen, mit eigenem Handeln notwendi-
gerweise auf ein bestimmtes Ende der Geschichte zusteuern zu können,
trauen der Freiheit einerseits zu viel zu, weil sie ihre Unabschließbarkeit
leugnen und aus einem avisierten und als vorgegeben angenommenen zu-
künftigen Abschluss der Geschichte nicht selten das Potential gewinnen,
das Ende mit Gewalt zu beschleunigen und selbst für es sorgen zu wollen.
Sie trauen ihr andererseits aber auch zu wenig zu, weil sie Freiheit einer
geschichtlichen Notwendigkeit unterstellen, auf die hin sie notwendiger-
weise konvergiert, wie auch immer konkret entschieden werden mag. Frei-
heit wird auf diese Weise unterbestimmt. Demgegenüber braucht religiö-
se Freiheit, wenn sie nicht degenerieren und gewaltbereit werden soll, die
Einbettung in die Überzeugung, dass Freiheit über den Tod hinausreicht,
also unabgeschlossen und kontingent bleibt, und die Hoffnung, dass die
Vollendung von anderswo herkommen wird. Eine der größten Schwierig-
keiten religiöser Freiheit ist die Möglichkeit, dass eigenes freies Handeln
transzendent gerechtfertigt wird, religiöse Hoffnung also in vermeintli-
ches Wissen über einen absoluten Willen kippt.
Ähnliches gilt für die oben angesprochene Einsicht, dass man sich durch
Entscheidungen aus Freiheit selbst zeitigt und dadurch sukzessive eine
Religiöse Freiheit braucht die Hoffnung, dass die Vollendung
von anderswo herkommen wird.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven