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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
Ende zwei solcher Universalismen gegenĂĽber, nimmt Gewalt oft die Form
der Unerbittlichkeit an. Diese kann bekanntlich so weit fĂĽhren, dass selbst
der eigene Untergang in Kauf genommen wird, wenn er helfen kann, den
Gegner zu vernichten. Selbstmordattentäterinnen und -attentäter nehmen
den eigenen Tod deshalb auf sich, weil der Wahrheitsuniversalismus, von
dem sie ĂĽberzeugt sind, und ihre Gegnerschaft zu den vertretenen Posi-
tionen und Lebensformen auf der anderen Seite die eigene Vernichtung um
des höheren Zieles willen als nötig erscheinen lassen. Meist sind religiöse
Ăśberzeugungen dabei der Angelpunkt fĂĽr die Absolutsetzung des Anspruchs
der eigenen Fraktion und die Rechtfertigung des eigenen Einsatzes.
Die Schwierigkeit religiöser Freiheit besteht also in der Negation der Ne-
gation, der sie folgt und mit der man versucht, einen solchen Kampf zu
rechtfertigen. Eine derartige Logik führt nämlich zu dem Problem, dass
man bestrebt ist, das Böse auf der anderen Seite durch Kampf zu beseitigen.
Doch kommt Gutes, dem durch die doppelte Verneinung von Gewalt zum
Durchbruch verholfen werden soll, wie Günther Pöltner zu Recht bemerkt,
„nicht infolge der Negation der Negation zustande, sondern höchstens trotz
ihrer“. Denn durch die doppelte Verneinung wird es möglich, Gewalt als
„etwas geschichtlich Unvermeidliches im Dienst des Guten“ anzuwenden,
aber durch die Unterordnung von Gewalt unter einen vermeintlich höheren
Zweck zu verharmlosen. (Pöltner 2001, 20) In der Logik der Vernichtung
des anderen durch das Mittel der Selbstvernichtung gibt man sich der Illu-
sion hin, dass eine tabula rasa aus sich Sinn generieren könne. Sinn jedoch
muss gestiftet werden oder sich von anderswoher zusprechen, kann aber
nicht der Negation entstammen, auch wenn sie ihrerseits negiert wird.
Auf der Suche nach einer Alternative von Sinnstiftung, vor allem in religi-
ösen Kontexten, will Emmanuel Levinas einer solchen Negation der Ne-
gation einen „prophetischen UniversalismusÂ
/ universalisme prophétique“
(Levinas 1992a, 184/337) gegenüberstellen. Er möchte eine Position iden-
tifizieren, von der aus man zu beiden Alternativen, wenn sie sich in einem
Antagonismus der Gewalt verfangen haben, in Distanz stehen kann, ohne
in die Gewaltspirale hineingezogen zu werden, und von der aus jenseits von
Vernichtung durch Selbstvernichtung sinnvolles Leben möglich wird. Sein
„prophetischer Universalismus“ steht vor der Herausforderung, dass er es
ermöglichen muss, „der Welt an[zu]gehören und, ohne wahnsinnig zu sein,
die beiden Termini der Alternative [zu] verwerfen, welche die Ereignisse
aufzwingen / appartenir au monde et rejeter, sans folie, les deux termes
de l’alternative qu’imposent les événements“ (Levinas 1992a, 184/337).
Lässt sich nämlich religiöse Freiheit auf einen solchen Antagonismus ein,
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven