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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
lich vor einer doppelten Schwierigkeit. Zum einen läuft er Gefahr, in sei-
ner zeitlichen Strukturiertheit unterbestimmt zu werden. Ihre Aporie, dass
zwar der Tod der Freiheit eine Grenze zieht, dass der Horizont der Freiheit
zugleich aber über den Tod hinausreicht, lässt leicht übersehen, dass re-
ligiöse Freiheit nur durch ihre Einbettung in die Kategorie der Hoffnung
sinnvoll bestimmt werden kann und zudem von dort her ihren religiösen
Charakter erhält. Wenn jene temporale Unabgeschlossenheit übersprun-
gen und Freiheit für abgeschlossen erklärt wird, ist es nicht mehr möglich,
die Offenheit des Sich-Zeitigens aus Freiheit entsprechend in den Blick zu
nehmen. Dann schlägt Identitätsbildung in „identitäre“ Biografie-Fixie-
rung um, was nicht nur einem Missverständnis von Freiheit, sondern auch
einer Verkennung religiöser Bezüge gleichkommt und zudem vor der Ge-
fahr steht, Totalität und Gewaltbereitschaft zu rechtfertigen.
Zum anderen steht religiöse Freiheit vor der Gefahr, mit einem Univer-
salismus der Wahrheiten kurzgeschlossen zu werden, der dadurch zustan-
de kommt, dass uneinholbare Wahrheit durch Ideologisierung oder religi-
öse Festlegungen kompensiert wird. Dann erweist sich das Heilige als das
Sakrale, das nicht nur für Letztbegründungen Pate steht, sondern auch in
Begeisterung versetzt, die glauben macht, sich nicht mehr rechtfertigen zu
müssen. In Konflikten steigt durch beidseitige Sakralisierungen die Gewalt-
bereitschaft unverhältnismäßig an, weil transzendente Absolut
setzungen
die Relativierung von Standpunkten praktisch unmöglich machen.
Doch selbst dann, wenn religiöse Freiheit diesen Schwierigkeiten ent-
kommt, steht sie nach wie vor auf dem Prüfstand. Denn allein das Bewusst-
sein meiner Freiheit „offenbart mir keinerlei Recht / ne me révèle aucun
droit“, aber auch keinerlei Pflicht. Für den Punkt der bislang erreichten
Bestimmung religiöser Freiheit gilt daher: „Meine Freiheit erweist sich
als willkürlich. / Ma liberté se découvre comme arbitraire.“ (Levinas 1992b
28/32) Ohne den Begriff der Willkür im kantischen Sinn, wie er oben kurz
angesprochen wurde, aufzunehmen, zeigt sich Freiheit, die als nicht unab-
geschlossen bzw. als nicht universal nur negativ bestimmt wird, als rich-
tungslos. Nun mag man bestrebt sein, die Ausrichtung religiöser Freiheit
mit ethischen Vorgaben konkreter Religionen festzulegen. Doch lässt sich
vor einer solchen inhaltlichen Determination ein Strukturmoment von
Freiheit selbst ausmachen, das sie als gerichtete ausweist. Freiheit steht
nicht zuerst unter dem Aufruf, das Negative zu negieren, sondern unter
Frei zu sein heißt, unter dem Anruf des Guten zu stehen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven