Page - 9 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
Image of the Page - 9 -
Text of the Page - 9 -
9 | www.limina-graz.eu
LIMINA 3:2 | Digitale Transformation | Editorial
Auch bedingt durch die Umstände des Jahres 2020 erleben wir derzeit eine
beschleunigte Phase der gesellschaftlichen Umgestaltung. Diese zeigt nicht
nur eine (a) bemerkenswerte Affinität auch sonst eher veränderungsträger
Kreise zu jenen digitalen Hilfsmitteln, die (zumindest dem Anspruch nach)
das Leben erleichtern, die Umwelt entlasten, Zeit sparen etc., sondern
auch eine (b) ebenso bemerkenswerte Unklarheit bzw. Uneinigkeit ĂĽber
die SchlĂĽsselbegriffe, die dafĂĽr eigentlich grundlegend sind. Was genau ist
denn die Digitalisierung, und vor allem: Was genau ist die Virtualität, die
mit der Digitalisierung oft in einem Atemzug genannt wird? Daniel Pach-
ner hat dazu Ăśberlegungen angestellt und legt, ausgehend von Gilles De-
leuze, einen Vorschlag vor, der die Existenzbedingung der Digitalität – die
Hardware, die Maschine – mit ihrem Nutzer – dem Menschen – im Wege
der Virtualität begrifflich verbindet und eine Möglichkeit aufzeigt, von der
Interpretation des Digitalen als etwas potentiell den Menschen Ăśberwin-
dendes bzw. Ablösendes Abstand zu nehmen.
Eng verwandt mit der populären Interpretation der „virtuellen Realität“
ist die Idee des „Beamens“. Mit einer anekdotischen Einführung in die-
ses Konzept beginnt Georg Gasser seinen Beitrag, in dem er sich der Frage
widmet, was die eigentlichen Rahmenbedingungen fĂĽr Person und Identi-
tät sind und was die weit verbreitete Annahme, dass es möglich sei, den
tatsächlichen Status einer konkreten Person digital abzubilden, stützen
könnte. Ist das Bewusstsein einfach ein Emergenzphänomen einer An-
ordnung von Neuronen, die einen Grenzwert ĂĽberschritten hat? Oder sind
nicht vielmehr bewusste und nicht-bewusste Entitäten grundlegend ver-
schieden? Und wie verhält sich die Idee eines Mind-Uploading zu einer
christlichen Anthropologie, die Gasser auf der Grundlage von Karl Rahner
abschlieĂźend anreiĂźt?
Daraus ergibt sich eine BrĂĽcke zum folgenden Artikel: Formal dem Thema
seines Beitrages entsprechend, nämlich in Verwobenheit zweier Interpre-
tationsebenen von Allgegenwart, legt Herbert Hrachovec dar, dass die ver-
breitete Ansicht, es existiere eine Analogie zwischen der religiösen Lehre
von der Omnipräsenz Gottes und der Telepräsenz des (digital repräsen-
tierten) Individuums, auf einem Missverständnis beruht. In seine Über-
legungen werden auch die Parallelen zwischen der Allwissenheit als gött-
lichem Attribut und der allgegenwärtigen Überwachung der Netz
aktivität
des modernen Menschen mit einbezogen – ein Kunstgriff, der en vogue,
aber, wie Hrachovec zeigt, im Kontext der Informationsgesellschaft nicht
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven