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LIMINA 3:2 | Digitale Transformation | Editorial
ungefährlich ist: „Das bestimmende Zeichen in ‚Omnipräsenz/Teleprä-
senz‘ ist der Trennstrich.“ Er setzt damit einen fundierten Kontrapunkt
zum nächsten Artikel, der einen wesentlich technikaffineren Blickwinkel
aufweist.
Die Interpretation von Glaubensprozessen als Funktionen des Nervensys-
tems steht im Zentrum des Beitrages von Sara Lumbreras und Lluis Oviedo.
Die Idee der Analogie zwischen einem Gehirn und einem Computer ist in-
zwischen in die Jahre gekommen, kehrt aber in unterschiedlicher Intensi-
tät in den technologischen und philosophischen Diskursen wieder. Span-
nend ist angesichts der aktuellen Entwicklungen insbesondere im Kontext
der neurobiologischen Forschung (auch vor Ort in Graz) jedoch, dass es in-
zwischen nicht mehr um (bio-)technische Aspekte, sondern um eine neue
Einordnung der Funktionalität eines (religiösen) Glaubens geht. Glaubens-
prozesse wären demnach als die Grundlage für Vertrauens- und Werturtei-
le zu betrachten und könnten Ansatzpunkte bieten, um das Verhalten des
Menschen zu verstehen – und ebenso potentiell das Verhalten autonomer
und selbstlernender Systeme. Die belief networks, von denen Lumbreras
und Oviedo sprechen, wären in der Lage, Glaubensprozesse als emergente
Phänomene zu generieren, und würden von diesen funktional massiv pro-
fitieren.
Im Kontext der Digitalisierung ist die Versuchung groß, das eigene Konzept
der Weltdeutung in der vernetzten Sphäre ausschließlich technologisch zu
formulieren. Bei näherem Hinsehen wird aber deutlich, dass auch die tech-
nische Entwicklung ohne menschliche Grundkategorien wie Wahrheit oder
Vertrauen letztlich undenkbar ist. Freiheit ist dabei ein Leitbegriff, denn
ohne diese sind jene beiden inhaltsleer – und mit ihr stellt sich unmittelbar
die Frage nach zwei anderen, diesmal theologischen Leitbegriffen, nämlich
Schuld und Barmherzigkeit. Christian Wessely nähert sich in seinem Beitrag
der Frage, ob dadurch nicht ein grundlegendes Problem ausgewiesen ist,
das den Menschen in seiner Neupositionierung als „digitale Analogie“ zu-
innerst betrifft und ihn dazu zwingt, sein Gleichgewicht zwischen Gemein-
schaft und Individualität je neu und schmerzhaft zu finden. Dass zu diesem
Prozess, dessen Ausgang alles andere als sicher sei, Theologie einen fun-
dierten Beitrag leisten kann und soll, gilt Wessely als sicher.
Große Erwartungen an Digitalisierung und Künstliche Intelligenz werden
auf Grund der Alterung der Gesellschaft im Bereich der Pflege gestellt. Dies
bringt jedoch nicht nur ethische, sondern auch rechtliche Herausforderun-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven