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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
Der Gedanke, dass Virtualisierung als Digitalisierung zu verstehen sei (vgl.
Lévy 1997, 6), wird vor dem Hintergrund des Strukturbegriffs von Deleuze
und der Funktionsweise eines Computers fraglich. Deleuze spricht in Bezug
auf die Elemente einer Struktur davon, dass diese „weder sinnliche Form
noch begriffliche Bedeutung und folglich keine zuweisbare Funktion be-
sitzen. Sie besitzen nicht einmal aktuelle Existenz und sind untrennbar von
einem Potential oder einer Virtualität“ (Deleuze 2007, 234).
Wenn Lévy also davon spricht, dass das Virtuelle letztlich das Gespeicherte
sei, das in der Anzeige abgerufen wird, dann ĂĽbersieht er, dass das Gespei-
cherte selbst die Verkörperung einer Struktur ist. Eine erste Konsequenz
des Begriffs „Virtualität“ bei Deleuze ist, dass man das Digitale und das
Virtuelle unterscheiden muss, weshalb man statt von virtuellen eigentlich
von digitalen Welten reden mĂĽsste.
Differenzierung und Differentiation
Noch problematischer wird die Annahme Lévys, wenn man sich die Unter-
scheidung von Differenzierung und Differentiation vor Augen fĂĽhrt:
„Mit der Aktualisierung nimmt […] ein neuer, artbildender und partitiver
Unterscheidungstyp den Platz der flieĂźenden ideellen Unterscheidungen
ein. Differentiation nennen wir die Bestimmung des virtuellen Inhalts
der Idee; Differenzierung nennen wir die Aktualisierung dieser Virtuali-
tät in Arten und in unterschiedenen Teilen.“ (Deleuze 2007, 262)
Was von Deleuze her zu unterscheiden ist, bleibt bei Lévy offen. Im Sinne
der Differenzierung wird das graphische Bild zweimal aktualisiert, einmal
nämlich als angezeigtes Bild am Monitor und ein anderes Mal als digitali-
sierter Code, der die Berechnung der Maschine leitet. Dass es hier zu einer
gewissen Vorzeitigkeit des Berechnens kommt, ist nicht Grund genug, den
digitalen Code bereits als Virtuelles zu verstehen, da eine Struktur eben-
so über eine „virtuelle Zeit“ (Deleuze 2007, 267) verfügt. Diese „bestimmt
selbst eine Differenzierungszeit oder eher Rhythmen, verschiedene Aktua-
lisierungszeiten, die den Verhältnissen und den Singularitäten der Struktur
entsprechen“ (Deleuze 2007, 267). Die Differentiation stellt den vertikalen,
Man muss das Digitale und das Virtuelle unterscheiden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven