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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
Die Realität des Virtuellen und sein Schöpfungscharakter
Grundlegend wurde gezeigt, dass das Virtuelle dem Aktuellen gegenĂĽber-
steht, nicht dem Realen. Lévys Ansatz lässt sich also von Deleuze her zu-
stimmen, jedoch muss ebenso der strukturelle Ansatz von Deleuze zu Ende
gedacht werden, um fehlerhafte Vereinfachungen zu vermeiden.
Dem Realen steht, so Deleuze, das Mögliche gegenüber, während das Virtu-
elle „volle Realität durch sich selbst“ (Deleuze 2007, 267) besitzt. Für De-
leuze geht es hier „um die Existenz selbst“ (Deleuze 2007, 267), insofern
die Existenz im Gegensatz von Realem und Möglichem für ihn ein „pures
Auftauchen“ (Deleuze 2007, 267) darstellt, das „stets hinter unserem Rü-
cken geschieht, dem Gesetz von allem oder nichts unterworfen“ (Deleuze
2007, 267). Die Existenz, so Deleuze, wird damit aber bereits als im Mög-
lichen anwesend gedacht, wodurch die Genese verschwindet. Die Folge ist,
dass man unter den digitalen Welten nur Scheinwelten versteht, die sich
einzig dadurch auszeichnen, nicht echt zu sein. Das Negative, so Deleuze,
„ist der objektive Körper des falschen Problems, der Fetisch selber“ (Deleuze
2007, 264; Hervorhebung im Orig.). In Anbetracht der Heilsprophezeiun-
gen vieler „Cyber-Theoretiker“ (Müller 2011, 74) wird der Gleichsetzung
des Virtuellen mit einem Raum, in dem alles möglich ist, sobald der techni-
sche Sprung dorthin geschafft ist, der vermeintliche philosophische Boden
entzogen, und sie wird als Wunschvorstellung dargelegt.
Das Virtuelle ist kein Reich unendlicher Möglichkeiten, sondern „das
Kennzeichen der Idee; ausgehend gerade von seiner Realität wird die Exis-
tenz hervorgebracht, und zwar gemäß einer Zeit und einem Raum, die der
Idee immanent sind“ (Deleuze 2007, 268). Während das Mögliche mit dem
Realen im Begriff identisch ist und das Reale dem Begriff nur die Existenz
hinzufügt, gibt es hier keine vorgängige Identität des Virtuellen mit dem
Aktuellen. Die Aktualisierung des Virtuellen hingegen geschieht nicht ĂĽber
das Sich-Verdoppeln, sondern ĂĽber Differenzierung. Das Virtuelle ist nie
von der gleichen Art wie das Aktuelle:
„Die Aktualisierung bricht mit der Ähnlichkeit als Prozeß ebenso wie mit
der Identität als Prinzip. Niemals ähneln die aktuellen Terme der Virtu-
alität, die sie aktualisieren: Die Qualitäten und Arten ähneln nicht den
Das Virtuelle ist kein Reich unendlicher Möglichkeiten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven