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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
Noch einen Schritt weiter geht man, wenn man dem Menschen buchstäblich
auf den Leib rückt – wie etwa im Falle von „Neuronal Interfaces“ (MacKellar
2019, 47), die zur Verbindung von Gehirn und Computer genutzt werden
sollen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es zu einer Verwischung der
„Grenzen zwischen Gemachtem und Natürlichem“ (Dungs 2003, 144) beim
Menschen selbst kommen wird. Zu dieser Entwicklung gehört auch, dass
„nicht nur der Mensch seine Eigenschaften auf die Technik, sondern diese
ihre Bedingungen auf den Menschen projiziert“ (Hartmann 2018, 121).
Die ständige Anwesenheit von Schnittstellen, die Alltagsgegenstände und
den Menschen ständig mit dem Internet verbinden, richtet dabei nicht
nur zunehmend alte Lebensgewohnheiten neu aus und erschafft so ande-
re raum-zeitliche Dynamiken, sondern macht Interfaces zunehmend auch
unsichtbar, was bedenklich stimmt. Solange das Interface graphisch ist
und damit sichtbar, bleibt dem User die Möglichkeit einer Unterscheidung
von natürlicher und digitaler Welt. Je unsichtbarer man die Interfaces hin-
gegen gestaltet und je detailgetreuer man die digitalen Welten simuliert,
desto mehr werden die Unterscheidbarkeit und Differenzierbarkeit des Di-
gitalen und des Natürlichen aufgehoben. Die Vorstellung eines unsichtba-
ren Interfaces wurde im Film The MaTrix (MaTrix, Lana and Lilly Wachow-
ski, US 1999) auf die Spitze getrieben und hat dort genau zu dem Ergebnis
geführt, das die „Cyborg-Propheten“ (Müller 2011, 72) heute bejubeln und
wovor andere warnen, die aus Sicht dieser Propheten nur dem nächsten
Schritt in der Evolution des Menschen entgegenstehen: einem in einer Si-
mulation lebenden und nur im Digitalen agierenden Avatar, den die fleisch-
lichen Bedürfnisse und Erschwernisse seines Leibes nicht mehr kümmern.
Was im Film aber hinzukommt, ist, dass dieses „Leben“ den allermeisten
Usern nicht als solches bewusst ist, sie eigentlich künstlich am Leben er-
halten werden (und mit ihnen ihre aktualisierten Avatare) und nicht den
Status derer haben, die hinter die Fassaden der Simulation blicken können.
Sie bedienen nicht durch ein Interface eine Maschine, sondern sie selbst
sind manipuliert: in der Hand eines anderen, den sie nicht einmal kennen
und von dem sie nichts wissen. Diese düstere Vision, die der Film MaTrix
entwirft, muss natürlich nicht Realität werden. In wessen Hände man sich
aber durch das völlige Verlassen auf das Digitale begibt, ist eine brennende
Je unsichtbarer die Interfaces gestaltet sind, desto mehr wird
die Unterscheidbarkeit des Digitalen und des Natürlichen aufgehoben.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven