Page - 35 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
Image of the Page - 35 -
Text of the Page - 35 -
35 | www.limina-graz.eu
Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
und oft vernachlässigte Frage, deren Dringlichkeit die Akzeptanz von Fort-
schritt um jeden Preis im Keim erstickt.
Je alltäglicher Interfaces werden, umso stärker werden digitale Welten –
wie es Social-Media-Websites wie Instagram oder Twitter bereits tun – in
die Lebenswelt hineinragen, sie und die in ihr Lebenden beeinflussen. Das
zurzeit größte und einflussreichste Interface ist dabei das des Smartphones,
das „die körperliche Existenz ins Digitale hinein“ (Hartmann 2018, 132)
verlängert, dies aber noch in Form einer Transformation des Natürlichen
ins Digitale durch Bilder und Sprachnachrichten. Die dringlichen Fragen
werden sich genau an den Schnittstellen von natĂĽrlicher Welt und digita-
len Welten einstellen, wodurch die Medienphilosophie mehr und mehr zur
„Interface-Theorie“ (Hartmann 2018, 142) werden wird.
Digitale Welt und natürlicher Mensch – verbunden durch Virtualität
Jenseits von Enthusiasmus und Kulturpessimismus (vgl. Hartmann 2018,
121) stellt der Begriff der Virtualität bei Deleuze die Möglichkeit dar, die
Interaktion von Maschine und Mensch begrifflich in den Blick zu nehmen.
Was beide verbindet, ist aber nicht eine Vermenschlichung der Maschi-
ne oder eine Mechanisierung des Menschen, sondern die Schaffung von
Schnittstellen, an denen sich Mensch und Maschine auf bestimmte Weise
überkreuzen können. Die Virtualität ist dabei die bleibende, unbestimmte
und unsichtbare Kraft, die das Entstehen dieser Orte bedingt. Sie ist nicht
als göttliche Kraft zu verstehen, mit der die Welt selbst in ihren Grundfes-
ten neu geschaffen werden kann (vgl. MĂĽller 2011, 113), sondern entzieht
sich gerade der Bemächtigung durch den Menschen. Da die Virtualität mit
den Strukturen selbst innigst verbunden ist, sind dem Menschen auch die
Dinge, selbst die konstruierten, auf gewisse Weise entzogen. Ein solches
Bewusstsein der elementaren Bestimmtheit durch Kräfte – nicht zuletzt
der Virtualität – thematisiert auch Deleuze:
„Diese Entscheidungsgewalt im Kern der Probleme, diese Schöpfung,
dieser Wurf, der uns zum Geschlecht von Göttern macht – sie ist dennoch
nicht unsere […]. Die Imperative oder Fragen, die uns durchdringen, ent-
stammen nicht dem Ego, es ist nicht einmal geschaffen, sie zu verneh-
men.“ (Deleuze 2007, 253)
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven